Wolf unter Wölfen
verhungert war sie! Immerzu hat sie gewürgt, und auf der Treppe ist sie fast hingeschlagen …«
»Aber wieso denn die Polizei?« schreit Wolfgang verzweifelt und schüttelt die Minna, so stark er kann. »Was hat denn die Polizei damit zu tun –?!«
»Weiß ich denn das?!« schreit Minna dagegen und versucht, sich von dem jungen Herrn loszureißen, der sie unwillkürlich immer fester hält. »Weiß ich denn, in was du sie reingerissen hast, Wolfi –?! Denn die Petra hat von sich aus bestimmt nichts Schlimmes getan, dafür kenne ich sie viel zu gut. Und die gemeine Person, die da noch mit auf der Etage wohnt, hat ja extra gesagt, der Petra geschieht es ganz recht, weil sie sich viel zu fein vorkommt, auf den Strich zu gehen. Der habe ich aber eine gelangt –!« Die Minna steht einen Augenblick triumphierend da, aber gleich sagt sie wieder, sehr verdrossen: »Gott segne sie, daß sie es nicht getan hat, trotzdem du und all ihr Mannskerle es sicher nicht um sie verdient habt.«
Wolfgang läßt Minna so plötzlich los, daß sie fast fällt. Und sofort verstummt sie.
»Mama«, sagt er aufgeregt. »Mama, ich habe wirklich keine Ahnung, was da passiert sein kann. Ich kann es mir auch gar nicht denken. Ich bin gegen Mittag fortgegangen, wollte etwas Geld beschaffen. Es ist richtig, daß ich Petras Sachen verkauft habe, wir hatten auch Schulden bei der Wirtin. Und vielleicht hat sie in letzter Zeit wirklich sehr wenig gegessen, ich muß gestehen, ich habe nicht recht darauf geachtet. Ich war viel weg – von dort. Was aber die Polizei mit alldem zu tun hat …«
Er hat immer leiser gesprochen. Es wäre viel leichter gewesen, Minna dies alles zu erzählen als der Mama, die so hölzern, so hart dasitzt, grade unter jenem bewußten Bild übrigens – nun, vorbei, das ist erledigt, nicht mehr nötig.
»Nun, was da auch mit der Polizei los ist, ich bringe das sofort in Ordnung. Es ist ganz sicher, Mama, daß nichts Wirkliches vorliegen kann – wir haben nichts getan, nein. Ich gehe sofort hin. Es muß ein Irrtum sein. Nur, Mama …« Es wird immer schwerer, zu der dunklen Frau zu reden, die ganz unbewegt dasitzt, fern, fremd, völlig abweisend …»Nur, Mama, ist es leider so, daß ich im Augenblick ganz ohne Geld bin. Ich brauche etwas Fahrgeld, vielleicht muß ich auch die Schulden bei der Wirtin sofort bezahlen; eine Kaution, was weiß ich, Sachen für Petra, Essen …«
Er starrt eindringlich seine Mutter an. Er hat es so eilig, sie muß doch frei werden, er muß doch fort – warum geht sie nicht schon an ihren Schreibschrank und holt das Geld?!
»Du bist jetzt aufgeregt, Wolfgang«, sagt Frau Pagel, »aber darum wollen wir doch nicht planlos handeln. Ich bin mit dir vollkommen einig, daß sofort etwas für das Mädchen geschehen muß. Aber ich glaube nicht, daß du, zumal in deinem jetzigen Zustand, der geeignete Mann dafür bist. Vielleicht gibt es langwierige Auseinandersetzungen mit der Polizei – du bist etwas unbeherrscht, Wolfgang. Ich denke, wir rufen sofort Justizrat Thomas an. Er weiß mit solchen Sachen Bescheid, er erledigt das viel rascher und reibungsloser als du.«
Wolfgang hat seiner Mutter so gespannt auf den Mund gesehen, als müsse er jedes Wort nicht nur hören, sondern auch von ihren Lippen ablesen. Nun fährt er mit der Hand über sein Gesicht. Er hat da ein trockenes Gefühl, die Haut müßte eigentlich rascheln. Aber die Hand ist feucht geworden.
»Mama!« bittet er. »Es ist doch unmöglich, daß ich diese Sache durch deinen Justizrat erledigen lasse und unterdes hier ruhig sitze, bade und Abendbrot esse. Ich bitte dich, mir dieses einzige Mal so zu helfen, wie
ich
es möchte. Ich muß dies allein erledigen, allein Peter helfen, sie allein herausholen, selbst mit ihr sprechen …«
»Das habe ich mir gedacht«, sagt Frau Pagel und klopft wieder einmal hart mit den Knöcheln auf den Tisch, daß es hölzern klingt. Dann, ruhiger: »Ich muß dich leider erinnern, Wolfgang, daß du mich schon hundertmal in deinem Leben gebeten hast, dir in dieser einzigen Sache einmal deinen Willen zu tun. Tat ich es, war es immer verkehrt …«
»Mama, du kannst doch diesen Fall nicht mit irgendeiner kindischen Kleinigkeit vergleichen!«
»Lieber Junge, wenn du etwas wolltest, war immer alles anderefür dich eine Kleinigkeit. Und diesmal gebe ich schon darum keinesfalls nach, weil diese Bemühungen und Verhandlungen dich wieder mit dem Mädchen zusammenbringen würden. Sei froh, daß du von ihr los
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