Wolfgang Hohlbein -
sich gefangen, hilflos den Mächten ausgeliefert, die im Herzen dieses fürchterlichen Ortes wohnten und auf den leichtsinnigen Wanderer warteten, der des Weges kommen mochte, und plötzlich hatte er Angst, Angst, wie er sie nur ein einziges Mal zuvor im Leben verspürt hatte.
Und er begriff, daß er an einen wirklich verfluchten Ort geraten war, ein Fleckchen Erde, auf das der Schatten der Hölle gefallen war, um es zu vergiften.
Pater Tobias war kein abergläubischer Mann. Zu all seinen menschlichen Fehlern und Schwächen - und es waren derer nicht wenige! - gehörte der Aberglaube nicht. Ganz im Gegenteil war er zeit seines Lebens stolz darauf gewesen, ein gebildeter Mann zu sein, dem Geschichten von Hexen, die des Nachts auf ihren Besen ritten und mit den Teufeln buhlten, stets nur ein mitleidiges Lächeln entlocken konnten.
Solcherlei Geschichten mochten den Glauben schwanken machen und damit dem wirklichen Bösen den Weg ebnen.
Aber nicht an Dämonen und Hexenwerk zu glauben bedeutet nicht, die Existenz des Teufels zu leugnen. O nein. Luzifer wandelte unter den Menschen, und er war klug und verschlagen und wußte sich in der Gestalt von Dingen zu verbergen, die harmlos aussahen.
Dieser Ort aber war alles andere als harmlos. Sein
Anblick erweckte Abscheu und Ekel in Tobias. Von dem 9
Kreis verklumpter schwarzer Erde ging eine Gefahr aus, wie eine unhörbare Stimme, die ihm zuschrie, wegzulaufen, zu fliehen, der schützenden Hand Gottes nicht mehr zu vertrauen, in die er sein Leben gelegt hatte.
Tobias begriff die heimtückische Versuchung, die in dieser Vorstellung lag, im letzten Moment und machte hastig das Kreuzzeichen. Er schloß die Augen, betete lauter und zwang seine Stimme mit aller Macht, nicht zu zittern, bis die Worte klar und weithin hörbar über die Lichtung schallten; vielleicht seine einzige Waffe gegen die teuflischen Mächte, die diesen Ort bewohnten. Lange stand er so da, stieß ein Gebet nach dem anderen hervor und schleuderte den Dämonen die mächtigsten Bannsprüche entgegen, die er gelernt hatte.
Seine Mühe war vergeblich.
Er spürte es. Die Worte schienen zu ... Dingen zu werden, im gleichen Moment, in dem sie über seine Lippen kamen, und mit ihrer Körperlosigkeit auch ihre Macht ein-zubüßen, so daß sie dem finsteren Etwas im Herzen der Lichtung nichts mehr anzuhaben vermochten. Was zurück kam, war kein Echo, sondern ein meckerndes Hohngelächter, das die Angst wie eine kalte Hand nach seinen Eingeweiden greifen ließ. Mit einem Schrei fuhr er herum und stürmte davon, um Stunden später die Straße wiederzufinden.
Obwohl der Tag noch jung gewesen war, hatte er bei der ersten Hütte, an der er vorbeikam, um Essen und ein Nachtlager gefragt. Aber es war ein sehr schweigsamer Dominikaner gewesen, dem die Köhlerfamilie an diesem Abend
Obdach gewährt hatten. Selbst das Nachtgebet hatte er sich fast widerwillig abgerungen, und als er am nächsten Morgen mit dem ersten Grau der Dämmerung aufbrach, da hatte er auf ihren Gesichtern einen Ausdruck gesehen, der ihn schmerzte: Sie schienen ihn, den Mann Gottes, zu fürchten, zumindest war ihnen in seiner Nähe unbehaglich zumute, und also waren sie froh, daß er ging. Ganz gegen seine son-stige Gewohnheit hatte er unter seine Kutte gegriffen und eine kleine Münze hervorgezogen, um die Leute für das Nachtlager und die Mahlzeit zu bezahlen. Er wußte selbst 10
jetzt noch nicht, warum er das tat. Vielleicht, weil er das Gefühl hatte, ihnen nicht nur Essen und den wärmsten Schlafplatz am Feuer weggenommen zu haben, sondern
auch ein wenig von der Hoffnung auf die Allmacht Gottes.
Tobias versuchte die Erinnerungen an jene schrecklichen Augenblicke am Hexenkreis zu verscheuchen, aber es gelang ihm nicht. Vielleicht würde er jene fürchterliche Begegnung mit den Mächten der Finsternis niemals mehr ganz vergessen, denn auf dieser Lichtung im Wald war mehr geschehen, als daß er den Atem des Teufels gefühlt hatte. Pater Tobias war mit der stärksten Waffe Satans konfrontiert worden: dem Zweifel. Wie gerne hätte er jetzt die Beichte abgelegt, denn er hatte nicht nur die Berührung des Teufels gespürt, er hatte auch gesündigt, hatte er doch an Gottes Schutz gezweifelt, in jenen schrecklichen Momenten, in denen er am Waldrand stand und die verhängnisvollen Zeichen sah.
Doch auch auf diesen Trost würde er für lange Zeit verzich-ten müssen, so wie auf viele Annehmlichkeiten, die das Leben im Dominikanerkloster von Lübeck
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