Wolfsblut
herabkommen, um zu kämpfen, und das Wölflein kroch ins Dickicht zurück und winselte vor Enttäuschung und Hunger.
Aber auch diese Hungersnot ging vorüber, und die Wölfin brachte wieder Fleisch heim. Es war eine ganz seltsame Beute, etwas ganz anderes, als sie je früher heimgebracht hatte. Es war ein halb ausgewachsener junger Luchs, nicht ganz so groß wie das Wölflein, und ganz allein für dieses. Die Mutter hatte ihren Hunger anderwärts gestillt, und es wußte ja nicht, daß der Luchs der letzte von dem Wurf sei, der ihr vollständig zum Opfer gefallen war. Auch wußte es nicht, wie verzweifelt die Tat gewesen war. Nur daß das Kätzchen mit dem Sammetfell Fleisch sei, wußte es, und es verzehrte es, und bei jedem Bissen wurde ihm wohler.
Ein voller Bauch führt zur Untätigkeit, und das Wölflein lag in der Höhle dicht neben der Mutter und schlief. Es wachte durch ihr Knurren auf. Nie hatte es sie so fürchterlich knurren hören. Vielleicht nie im Leben hatte sie einen so furchtbaren Ton ausgestoßen, und sie hatte auch allen Grund dazu, das wußte niemand besser als sie, denn das Lager eines Luchses wird nicht ungestraft beraubt. Im vollen Licht der Nachmittagssonne sah das Wölflein die Luchsin geduckt vor dem Eingang der Höhle liegen; sein Haar sträubte sich ihm auf dem Rücken empor. Hier war etwas Furchtbares, das brauchte der Instinkt ihm nicht erst zu sagen, und wenn der Anblick allein nicht genügt hätte, so wäre das wütende Geschrei des Eindringlings, das mit Knurren begann und rasch zu heiserem Kreischen wurde, hinreichend überzeugend gewesen. In dem Wölflein regte sich die Liebe zum Leben, es stand auf und stellte sich mit tapferem Knurren neben die Mutter. Allein sie schob es verächtlich beiseite und stellte sich davor. Die Luchsin konnte des niedrigen Eingangs wegen nicht in die Höhle hineinspringen, aber als sie behende hineinkroch, sprang die Wölfin auf sie los und drückte sie zu Boden. Das Wölflein sah von dem Kampfe nur wenig, allein es hörte fürchterlich knurren, fauchen und kreischen. Die beiden Tiere hieben aufeinander los, die Katze, indem sie mit den Krallen riß und kratzte und auch die Zähne gebrauchte, während die Wölfin nur diese Waffe besaß. Einmal sprang das Wölflein zu und biß der Luchsin in eines der Hinterbeine. Es hielt fest und knurrte wütend. Ohne daß es das wußte, lähmte das Gewicht seines Körpers die Bewegung des Beines, und es ersparte dadurch der Mutter manche Wunde. Bei einer Wendung des Kampfes jedoch kam es unter die beiden Kämpfenden und ließ das Bein fahren. Einen Augenblick später trennten sich die beiden Feinde, und bevor sie von neuem aufeinander losstürzten, versetzte die Luchsin dem Wölflein einen Schlag mit der Vorderpfote, riß ihm die Schulter bis zum Knochen auf und schleuderte es an die Wand. Nun mischte sich auch sein gellendes Schmerzensgeschrei in den Lärm, aber das Wölflein hatte Zeit, sich auszuheulen und noch einmal mutig einzugreifen, indem es wiederum die Luchsin bei einem Hinterbein packte und zornig knurrend es festhielt, bis der Kampf zu Ende war.
Zwar war die Luchsin endlich tot, aber auch die Wölfin war sehr wund und krank. Sie liebkoste ihr Junges und leckte ihm die wunde Schulter, aber der große Blutverlust hatte sie sehr schwach gemacht, und einen Tag und eine Nacht lag sie bewegungslos und kaum atmend neben der toten Feindin. Acht Tage lang verließ sie die Höhle nur, um zu trinken, und hernach noch waren ihre Bewegungen langsam und matt. In dieser Zeit wurde der tote Feind verzehrt, und die Wunden der Wölfin heilten wieder so weit, daß sie auf Raub ausgehen konnte.
Eine Zeitlang blieb die Schulter des Wölfleins nach dem furchtbaren Schlage, den es erhalten hatte, steif und tat sehr weh, und es hinkte beim Gehen. Aber die Welt hatte sich seitdem verändert. Es schritt mit erhöhter Zuversicht einher, es fühlte sich als Held. Das Leben hatte sich ihm von einer wilderen Seite gezeigt, es hatte gekämpft, die Zähne ins Fleisch des Feindes geschlagen und war am Leben geblieben. Nun trat es kühner, und trotziger auf, und kleinere Geschöpfe jagten ihm keine Furcht mehr ein. Seine Schüchternheit war verschwunden, wenn auch das Unbekannte ihm immer noch geheimnisvolle Schrecken einflößte.
Fortan begleitete es die Mutter auf ihren Streifzügen, und es sah nicht nur, wie Beute gemacht wurde, sondern spielte dabei auch eine Rolle. So lernte es in seiner Weise das Recht auf Fleisch kennen. Es gab
Weitere Kostenlose Bücher