Wolfsblut
Herr über die lebenden Wesen war. Der Bann seines Erbteils lag auf ihm, die Furcht, der Respekt, den ein jahrhundertelanger Kampf und die gesammelte Erfahrung ganzer Generationen erzeugt hatten. Dies Erbteil war für einen so jungen Wolf zu mächtig. Wäre er erwachsen gewesen, so wäre er weggelaufen; jetzt kauerte er in lähmender Furcht nieder und brachte ihnen die Unterwerfung dar, die sein Geschlecht zum erstenmal den Menschen dargebracht hatte, als ein Wolf herangekommen war, um sich an ihrem Feuer zu wärmen.
Einer der Indianer stand auf, ging zu ihm hin und bückte sich zu ihm herab. Das Wölflein duckte sich tiefer. Das Unbekannte, das Wirklichkeit, ja Fleisch und Blut geworden war, kam zu ihm her und wollte es packen. Unwillkürlich richtete sich sein Haar empor, seine Lippen zogen sich zurück und entblößten die kleinen Zähne. Die Hand, die wie das Verhängnis über ihm schwebte, zögerte, und der Mann sagte lachend: »Seht doch die weißen Zähne!«
Die andern Indianer lachten laut und drängten den Mann, das Wölflein emporzuheben. Wie die Hand ihm näher kam, stritten sich widerstrebende Empfindungen in ihm. Es hatte das Verlangen nachzugeben und den Wunsch, sich zu wehren, und das Resultat war, daß es beides tat. Es ließ es geschehen, daß die Hand es fast berührte, dann schnappte es blitzschnell danach. Im nächsten Augenblick bekam es eine Ohrfeige, die es umwarf. Nun war ihm die Streitlust vergangen. Seine große Jugend und der Instinkt der Unterwerfung gewannen die Oberhand, es setzte sich aufrecht und winselte kläglich. Allein der Mann, den es in die Hand gebissen hatte, war ärgerlich. Das Wölflein erhielt noch eine Ohrfeige auf die andere Seite, worauf es noch kläglicher schrie.
Die andern Indianer lachten laut, und selbst der Gebissene stimmte ein. Sie standen rings um das Wölflein und lachten, während es in seinem Jammer und in seiner Angst laut winselte. Da hörte es einen wohlbekannten Ton. Auch die Indianer lauschten, aber das Wölflein wußte, was das war, und nachdem es noch einmal laut aufgejammert hatte, schwieg es und wartete auf die Ankunft der Mutter, seiner wilden, unbezwinglichen Mutter, die mit allem kämpfte, was da lebte, und es tötete und Furcht nicht kannte.
Sie kam knurrend herangestürmt. Sie hatte den Ruf ihres Jungen gehört und stürzte herbei, um es zu retten. Sie sprang mitten unter die Männer, und ihre mütterliche Angst und ihre wilde Kampfbereitschaft machten sie furchtbar. Aber dem Wölflein gefiel ihr rasender Zorn; das verhieß ihm Schutz. Es stieß einen schwachen Freudenschrei aus und sprang ihr entgegen, während die Männer eiligst ein paar Schritte zurückwichen. Die Wölfin stellte sich mit gesträubtem Haar vor ihr Junges, und ein tiefes, grollendes Knurren stieg aus ihrer Brust empor. Ihre Züge waren drohend verzerrt, die Nase von der Spitze bis zu den Augen voller Falten, und ihr Knurren klang boshaft.
Auf einmal schrie einer der Indianer: »Kische!« Es lag Erstaunen in dem Ruf. Das Wölflein fühlte, wie die Mutter bei dem Ruf zusammenzuckte. »Kische!« rief der Mann noch einmal, diesmal scharf und gebietend, und nun sah das Wölflein, wie seine sonst so unbändige Mutter sich duckte, bis sie fast den Boden berührte, und winselnd und schweifwedelnd um Frieden bat. Es konnte sie nicht verstehen, und es war entsetzt. Angst und Grauen vor den Menschen übermannte es. Sein Instinkt hatte also recht gehabt, auch die Mutter bestätigte es, denn auch sie unterwarf sich den Menschen.
Der Mann, der so gesprochen hatte, näherte sich ihr. Er legte ihr die Hand auf den Kopf, und sie duckte sich noch tiefer. Sie schnappte nicht zu oder drohte, es zu tun. Auch die andern kamen näher, stellten sich um sie, betasteten und streichelten sie, was sie sich geduldig gefallen ließ. Sie waren alle sehr aufgeregt und machten seltsame Töne mit dem Munde. Diese Töne bekundeten jedoch keine Gefahr, das sah das Wölflein ein, als es zur Mutter herankroch und, wenn auch sein Haar sich emporrichtete, doch, so gut es konnte, seine Unterwerfung bezeigte.
»Es ist nicht zu verwundern«, sagte einer der Indianer. »Ihr Vater war ein Wolf, wenn auch die Mutter eine Hündin war. Allein, mein Bruder band diese in der Paarungszeit oft nachts im Walde an. Darum war Kisches Vater ein Wolf.«
»Ist es nicht ein Jahr her, Grauer Biber«, sagte ein anderer Indianer, »seitdem sie weglief?«
»Das ist kein Wunder«, antwortete der Graue Biber. »Es war eine knappe
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