Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
hochfahren?«
Leonie schüttelte den Kopf. »Das bringt nichts.«
»Wieso?«
»Weil Lukas alle Zugänge mit Passwörtern versehen hat. Und die weiß ich nicht.«
»Schade.«
»Ich interessiere mich sowieso nicht für diese kybernetischen Gebilde. Ich beschäftige mich lieber mit dem Lebendigen. – Nach was suchen Sie denn eigentlich?«
»Na ja, nach irgendeinem Anhaltspunkt eben, um zu klären, warum und wohin Ihr Freund so spurlos verschwunden ist.«
Leonie schien für ein paar Minuten dieses leidvolle Thema verdrängt zu haben. Aber durch Sabrinas Antwort wurde sie mit einem Male wieder zurück in den dunklen Kerker ihres Seelenschmerzes geworfen. Sie kämpfte mit den Tränen, senkte den Kopf, schlug die Hände vors Gesicht, ihr Körper begann zu beben.
Tannenberg entging diese gravierende Verhaltensänderung natürlich nicht. Er erhob sich, legte ihr im Vorübergehen kurz tröstend die Hand auf die Schulter. Dann blieb er unvermittelt stehen und wandte sich zu ihr um. »Entschuldigen Sie, Frau Kalkbrenner, dass wir Sie so lange belästigt haben. Wir lassen Sie jetzt in Ruhe.«
Leonie nickte wortlos. Tannenberg streckte ihr zum Abschied die Hand hin. Aber sie nahm diese Geste nicht wahr.
»Allerdings müssten sich die Kollegen der Spurensicherung Ihre beiden Appartements noch etwas genauer ansehen. Das kann eine Weile dauern. Könnten Sie in der Zeit vielleicht jemanden besuchen gehen?«
Die junge Studentin blickte kurz auf, nickte schluchzend. »Das hatte ich sowieso vor. Meine beste Freundin wohnt hier im roten Wohnheim, zwei Etagen tiefer. Ich kann jetzt nicht allein sein.«
»Natürlich.«
»Und dann werde ich zu meinen Eltern fahren.«
»Gut, dann geben Sie uns doch bitte Ihre Schlüssel, Ihre Handynummer und den Namen Ihrer Freundin. Wenn die Kollegen mit Ihrer Arbeit fertig sind, bekommen Sie selbstverständlich Ihre Schlüssel wieder zurück.«
Plötzlich fiel Tannenberg noch etwas sehr Wichtiges ein, etwas, das er fast vergessen hätte: »Frau Kalkbrenner, besitzen Sie oder Ihr Freund eigentlich ein eigenes Auto?«
»Ja, wir haben beide eins.«
»Wissen Sie, wo sich das Auto Ihres Freundes gegenwärtig befindet?«
»Natürlich. Es steht unten auf dem Parkplatz.« Wie wenn sie Tannenbergs nächste Frage vorausgeahnt hätte, ergänzte sie: »Und sein Autoschlüssel hängt drüben am Schlüsselboard.«
Sie gingen wieder hinüber in die andere Wohnung. Nachdem die Daten erhoben und die Schlüssel ausgehändigt worden waren, bat Tannenberg die Studentin noch um ein Foto des vermissten Lukas Steiner.
Abschließend stellte er die Frage, die er die ganze Zeit über wie einen unangenehmen Zahnarztbesuch vor sich hergeschoben hatte: »Frau Kalkbrenner, hatten Sie in letzter Zeit den Eindruck, dass sich Ihr Freund irgendwie verändert hat?«
Leonie schüttelte verneinend den wieder zu Boden gesenkten Lockenkopf.
»War er anders als sonst, zum Beispiel auffällig nervös? Oder hatte er Angst? Ist er von irgendjemandem bedroht worden?«
»Angst? ... Drohungen? Nein.« Leonie hob den Kopf, fixierte ihn mit einem verzweifelten Blick. »Warum fragen Sie das alles?«
»Routine, Frau Kalkbrenner, nur Routine. Wir müssen diese Fragen stellen. Auch wenn wir von unseren Erfahrungswerten her wissen, dass in den allermeisten Fällen die gesuchten Personen nach ein paar Tagen wieder wohlbehalten bei Ihren Angehörigen auftauchen.«
Mit sich brechender Stimme schrie sie plötzlich los. »Sie lügen! Sie fragen das alles nur, weil Sie glauben, dass Lukas bereits tot ist.«
Es hing ein Gewitter in der Luft. In den letzten Minuten war der Wind spürbar aufgefrischt und wirbelte nun Staub und tanzende Papierfetzen über den flimmernden Asphalt. Es waren nur wenige Passanten auf den Straßen der Stadt unterwegs; die Menschen hatten sich vor der drückenden Schwüle in ihre kühleren, abgedunkelten Häuser geflüchtet.
Sabrina parkte den Mercedes in der Pirmasenser Straße schräg gegenüber des Wertstoffhofs. Als Tannenberg den klimatisierten Dienstwagen verließ, meinte er von der sich ihm entgegenstellenden Hitzewand erschlagen zu werden. Bereits nach wenigen Metern wischte er sich die regelrecht aus der Haut herausschießenden, perlenden Schweißtropfen von der Stirn.
Die beiden Kriminalbeamten betraten die Wertstoff-Sammelstelle durch den Haupteingang, ein breites graues Schwingtor, das oben mit silbernem Stacheldraht besetzt war. Direkt neben der Einfahrt stapelten sich auf der linken Seite
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