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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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war es tatsächlich ein un-
    angenehmes Schweigen. Wir hatten nichts mehr zu sagen. Ich
    bemerkte, dass auch in seinen Augenwinkeln der Tränenfilm
    darum kämpfte überzutreten. Ich wollte nicht mehr hier sein
    und war gerade dabei, mich umzudrehen, da bemerkte ich,
    dass seine Hand nach mir griff. Und obwohl ich den ganzen
    Abend darum gebettelt hatte, war ich es jetzt, die zurückwich.
    Ich konnte nicht einmal sagen, wieso. Aber als er meine Re-
    aktion und meinen Blick dabei registrierte, wandte er sich
    schnell von mir ab und ging wieder dorthin, wo er hergekom-
    men war. Ein leeres Gefühl der Angst überkam mich, als ich
    ihn jetzt in die Nacht verschwinden sah. Was hatte ich getan?
    Wieso hatte ich die Gelegenheit nicht wahrgenommen? Hat-
    te mein Stolz verhindert, die letzte Chance wahrzunehmen?
    Mit jedem Schritt, den er sich mehr von mir entfernte, fühlte
    ich seine Traurigkeit und meine Einsamkeit. Ich konnte kein
    Licht mehr am Ende des Tunnels erkennen. Ich wischte mir
    nicht einmal die verräterischen Tränenspuren aus dem Ge-
    sicht, als ich leblos wieder nach innen stolperte. Eine leise
    Stimme in mir sagte, dass ich vermutlich die letzte Gelegen-
    heit verpasst hatte, das Blatt noch zu wenden.
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24. Fluchtinstinkt
    Unendliche Wassermassen ergießen sich über das grüne, hü-
    gelige Land. Blitze durchzucken die aufgeladene Atmosphäre.
    Ein tonloser Schrei zerfetzt den Himmel in zwei Teile, der eine
    blau, ein schweres Blau, voller Regen, der andere Teil ein un-
    stetes Grün, das an das Farbspektrum eines grünen Nordlichts
    erinnert. Sie steht inmitten dieser Flut und starrt mit aufgeris-
    senem Mund dem Himmel entgegen. Ihr Schrei scheint un-
    wirklich, unmöglich schmerzhaft, kaum menschlich. Ihr langes
    Gewand ist am Saum mit Wasser vollgesogen und sie droht in
    den Strom gezogen zu werden. Aber sie bewegt sich nicht. Das
    einzige Lebenszeichen, das aus ihrem Körper spricht, ist der
    lautlose Schrei, der nur von ihrem schweren, traurigen Blick
    übertroffen wird. Ich kann es nicht sehen. Weint sie? Ihr Ge-
    sicht sieht so aus. Aber bei diesem heftigen Regen kann man
    es unmöglich erkennen. Jetzt sehe ich, dass sie zwischen zwei
    reißenden Flüssen steht. Sie wird ertrinken. Sie versucht sich
    nicht zu retten. Ich sehe ihr Gesicht, ich fühle ihren Schmerz.
    Die Dramatik der Flut spiegelt sich in ihrer Iris wieder. Ich ver-
    liere mich in ihren todtraurigen, wässrigen Augen. Fast meine
    ich, dasselbe Bild, das um sie herum ist, in ihren Augen noch
    einmal zu sehen. Doch da ist noch etwas anderes zu erkennen.
    Ein Schatten. Der Umriss einer Gestalt. In ihrem feuchten
    Blick eingeschlossen, erkenne ich die Gestalt eines brennenden
    Mannes. Er brennt. Er ist eine einzige Flamme. Und sie schreit
    wieder. Ihr Sirenengeheul schmerzt in meinen Ohren. Ich halte
    sie zu, um mich vor ihrem Trauerruf zu schützen. Doch ihr
    Wehklagen erreicht mich dennoch. Im Inneren. Es ist nicht die
    Stimme, mit der sie schreit. Es ist etwas viel Mächtigeres. Jetzt
    erst erkenne ich es. Sie hält sich ebenfalls die Ohren zu, als
    wäre sie mein Spiegelbild. Ich versuche, mich ihr zu nähern.
    412

    Ich habe Angst davor. Bevor ich sie erreichen kann, rutsche
    ich aus und falle ins Wasser. Um mich ist nur noch Kälte und
    Nässe. Ich ertrinke. Ich werde ertrinken. Ich sterbe und bekom-
    me keine Luft mehr.
    Mein eigener Schrei ließ mich aus diesem grauenhaften
    Albtraum erwachen. Ich zitterte wie Espenlaub und konnte
    kaum meinen Atem unter Kontrolle halten. Ich zog meine
    Decke ganz fest um mich, um mich vor allem in meinem
    Zimmer, vielleicht sogar vor der Nacht selbst, zu schützen.
    Das war nicht die Art von Albtraum, auf die ich vorbereitet
    war. Ich hatte mit schrecklichen Träumen von Farkas gerech-
    net, der mich im Schlaf heimsucht, um mich zu quälen. Ich
    war sogar gewappnet darauf, den rasenden Istvan zu sehen,
    der versucht, seinen Todesrausch erneut an mir auszulassen.
    Mit jeder dieser Heimsuchungen wäre ich klargekommen,
    weil ich sie erwartete, auf sie vorbereitet war. Aber dieser
    schrecklich verstörende Traum erschütterte mich zutiefst,
    auch wenn ich wusste, was ihn vermutlich ausgelöst hatte.
    Ich hatte Istvan seit dieser unsäglichen Freitagnacht nicht
    mehr gesehen. Auch er war nicht zu mir gekommen. Nur
    zwei Tage waren wir uns nicht begegnet und ich war schon
    dabei, in die Dunkelheit abzudriften. Selbst mein Unterbe-
    wusstsein wusste, dass es nicht so weitergehen konnte.
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