Wolfsflüstern (German Edition)
ein liebestoller Welpe, um ein Haar einen Kinnhaken verpasst hätte. Das Pferd stampfte einmal auf, wobei es Matts Zeh nur knapp verfehlte, dann schwenkte es den Kopf und stupste Gina mit vergleichbarer Zuneigung an.
»Dabei hatte ich mir eingebildet, ich sei sein Ein und Alles«, sagte Matt.
Gina kraulte Spike zwischen den Augen. »Bis Sie aufgetaucht sind, war ich sein Ein und Alles. Spike ist … schwierig.«
Das überraschte Matt. Auf ihn wirkte das Pferd völlig normal. Er hatte schon Schlimmeres geritten.
»Jase hätte ihn Ihnen nicht geben sollen.«
»Sie können ihn zurückhaben«, bot Matt an, obwohl ihm der Gedanke, ein anderes Tier zu reiten, gar nicht gefiel. Im Moment kam es ihm vor, als hätten sich Spike und er gegen den Rest der Welt verschworen – zumindest gegen die As.
»Nein, das passt schon«, wiegelte Gina ab. »Ihr habt offensichtlich Freundschaft geschlossen.«
Wie zur Demonstration knabberte Spike an Matts T-Shirt und hinterließ einen großen nassen Fleck an der Schulter. »Ich Glückspilz.«
»Also, wie haben Sie ihn dazu gebracht?«, wiederholte sie.
»Wozu gebracht?«
»Ashleigh anzuniesen. Oder war es Amberleigh?«
»Wo ist der Unterschied?«, meinte Matt. »Es war seine Idee. Ich denke, ihm haben die Ohren wehgetan. Meine haben auf jeden Fall geschmerzt.«
»Sie müssen bei Spike eine strenge Hand walten lassen.«
Der Wallach schwang den Kopf herum, als Gina seinen Namen sagte; sie fütterte ihn mit etwas aus ihrer Tasche, das er genüsslich zu mampfen begann. Der Farbe des Speichels nach, der auf Matts Schuh tropfte, tippte er auf Karotte.
»Er hat vorhin versucht, mir die Kandare abzuluchsen. Aber auf so etwas bin ich gefasst.«
Gina zog die Brauen hoch. »Sie sind schon früher Pferde wie Spike geritten?«
»Gelegentlich.«
Da war dieser Araber gewesen, mit dem er sich während der Arbeit an seinem Magister durch die ägyptische Wüste gekämpft hatte. Er hätte auf einem Kamel reiten sollen, aber Matt hegte einen tiefen Abscheu gegen diese Tiere. Sie spuckten, sie bissen und sie stanken.
Der Araber hatte es für irre komisch gehalten, so zu tun, als würde er Sand hassen. Jeden Morgen hatte er die Hufe gehoben und sie geschüttelt wie eine Katze, die durch Wasser läuft. Das tat er geschlagene vierzig Minuten lang; das bedeutete, wenn es für die Gruppe Zeit zum Aufbruch wurde, starrten ihn entweder alle grinsend an oder Matt wurde in der Obhut eines mit einer Flinte bewaffneten und ebenfalls grinsenden Babysitters zurückgelassen. Er hatte gelernt, dass es das Klügste war, früh aufzustehen und dem Gaul seinen Spaß zu lassen; anschließend führte sich das Pferd den restlichen Tag über ordentlich auf.
In Belize war Matt im Sattel eines Esels gelandet, der es liebte, ohne Vorwarnung zu buckeln, vorzugsweise beim Überqueren schmaler Pfade am Rand von Klippen. Doch als Matt keine Reaktion zeigte – er stieg niemals ab, er schrie nicht auf, abgesehen vom allerersten Mal, als er gekreischt hatte wie ein Mädchen –, stellte der Esel sein schlechtes Benehmen ein. Als die Archäologen endlich die Ruinen erreichten, von denen sie hofften, dass sie aztekisch waren, die, wie sich herausstellte jedoch der Maya-Kultur entstammten, waren Matt und der Esel beste Freunde. Bei Matts Abreise hatte das arme Tier geschrien, bis er außer Hörweite war.
»Teo?« Ginas Stimme machte ihm bewusst, dass er länger in Gedanken versunken gewesen war, als es normal war. Das kam bei ihm vor.
Seine Kollegen an der Uni waren an diese kleinen Kopfreisen gewöhnt. Professoren waren Denker, und das Denken spielte sich eben im Kopf ab. In Matts Kreisen war er nicht der Einzige, der mitten im Gespräch still und in sich gekehrt werden konnte. Nur wenn er sich in die Welt hinauswagte, geschah es, dass solch ein Verhalten belächelt wurde.
»Ja.« Er rieb sich übers Gesicht. »Ich schätze, ich bin müde.«
Gina streckte ihm die Hand entgegen, und fast hätte Matt sie ergriffen, als er realisierte, dass sie nur die Wurzelbürste wollte. »Gehen Sie lieber zu Bett. Wir brechen morgen früh auf.«
»Wie früh?«
»Bei Sonnenaufgang. Frühstück ist um sechs. Ist das ein Problem für Sie?«
Matt schüttelte den Kopf. Jahrelang in einem Zelt zu leben, hatte ihn zu einem notorischen Frühaufsteher gemacht. Man kroch aus den Federn, sobald die Sonne durch das Zelttuch schien. Wenn sie unterging, legte man sich schlafen. Tatsächlich zog er den Tagesrhythmus während einer Ausgrabung der
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