Wolfsflüstern (German Edition)
Klavier komponieren wollte, das sie nicht hatten, und das in Unterwäsche, die ausschließlich in seiner Fantasie existierte.
»Isaac!«, schrie Gina, und als der alte Mann auftauchte, schob sie den nackten Mel in seine Richtung. »Selbst schuld.«
Sie hatte ihm verboten, den Leuten mehr als einen seiner Moonshine Mollys zu kredenzen.
Gina eilte in ihr Zimmer, holte einen Schlüssel und öffnete den Garderobenschrank in der Diele, in dem sie die Klamotten aufbewahrte, die sie niemals anzog.
Mittig hing in einem Plastikkleidersack ihr bestes Kleid. Zugegeben, es war schon ihr bestes Kleid, seit sie es für ihren Highschool-Abschlussball gekauft hatte, aber das machte es nicht weniger hübsch. Nur ein wenig altmodisch.
Gina nahm es und ließ den bauschigen, weißen, mit kleinen violetten Blumen bedruckten Stoff durch ihre Finger gleiten.
»Das willst du doch nicht im Ernst anziehen?«
Die Silhouetten beider As zeichneten sich in der Tür ihres Zimmers ab.
»Man soll kein Weiß tragen vor dem …« Ashleigh zog die Stirn kraus. »Tag der Arbeit?«
» Nach dem Tag der Arbeit«, korrigierte Amberleigh. »Nicht vor dem Heldengedenktag.«
»Warum nicht?«, fragte Gina.
Die Mädchen sahen einander an, dann wieder zu Gina.
»Man kann es einfach nicht«, erklärte Ashleigh.
»Ich versichere euch, ich kann das.« Gina bückte sich und nahm ihre weißen Pumps vom Schrankboden. Nicht zuletzt, da ihr kaum etwas anderes übrig blieb.
»Puh!«, stöhnte Ashleigh.
»Nicht diese Schuhe«, pflichtete Amberleigh ihr bei.
Gina drehte sie um. Die Absätze waren leicht verschrammt, aber ansonsten sahen sie prima aus.
»Weiße Pumps sind für Hochzeiten«, raunte Ashleigh, als würde sie ihr ein Geheimnis anvertrauen.
»Ausschließlich?«
»Vielleicht noch für Taufen.« Das Mädchen guckte zu seiner Freundin, die achselzuckend vorschlug: »Für Konfirmationen?«
»Und Ball-Mizwas!«, kam Ashleigh nun richtig in Fahrt.
»Ich glaube, es heißt Bar-Mizwas«, berichtigte Gina sie.
»So eine Mizwa findet doch nicht in einer Bar statt.« Ashleigh kicherte. »Dummerchen.«
»Ja, das bin ich wohl.« Gina machte sich samt Kleid und Schuhen auf den Weg zu ihrem Zimmer. »Dumm, dumm, dumm.«
»Warte.« Amberleigh baute sich vor ihr auf und schaute ihr in die Augen. »Du willst das wirklich anziehen?«
Gina wäre fast wortlos weitergegangen. Nur dass zur Abwechslung mal jemand in Amberleighs gewöhnlich seelenlosen blauen Augen zu wohnen schien. »Ich habe morgen einen wichtigen Termin.«
Den hatte sie nicht, nicht wirklich. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, Mr Morris anzurufen und ein Treffen zu vereinbaren. Damit hätte sie ihm nur die Chance gegeben abzulehnen.
»Mit einem Mann?«
»Welchen Unterschied macht das?«
Amberleigh hob eine Braue und wartete. Seufzend dachte Gina an den gedrungenen, plumpen, seltsamen kleinen Mann, der ihre Ranch von der Bank gekauft hatte. Sie hasste den Kerl. Als sie ihm zuletzt einen Besuch abgestattet hatte, um ihn um einen Folgekredit zu bitten, hatte er einen einzigen Blick auf ihre staubigen Stiefel, ihre ausgewaschenen Jeans und ihr Flanellhemd geworfen, die Lippen geschürzt und gesagt: Nächstes Mal tragen Sie ein Kleid .
»Ja«, bestätigte sie. »Es ist ein Mann. Und weiter?«
»Ein wichtiger?«
»Sehr sogar.«
»In diesem Fall, Süße …«, Amberleigh zog Gina das weiße Kleid aus den Händen; Ashleigh nahm ihr die Schuhe ab, dann warfen sie beides in den Schrank und schlugen die Tür zu, »… brauchst du etwas Besseres.«
9
»Wozu habt ihr denn Kleider dabei?«, fragte Gina verwundert. Ihre Stimme klang gedämpft, weil sie sich gerade das dritte, womöglich auch schon das vierte Modell über den Kopf zog. »Wozu habt ihr überhaupt ein einziges mitgebracht?«
»Man kann nie wissen, wann man ein scharfes Outfit braucht.« Amberleigh runzelte die Stirn, während sie Gina begutachtete.
»Ich weiß«, sagte Gina. »Drei Tage können eine Ewigkeit sein.«
»Das hier sieht super aus.« Amberleigh lächelte. »Findest du nicht, Ash?«
Gina war überrascht, dass sie in Amberleighs Klamotten passte. Die Blondine war an manchen Stellen zierlicher und an zwei anderen deutlich üppiger als sie. Aber nach ein paar kleinen Korrekturen – warum Amberleigh Stecknadeln in ihrem Koffer hatte, war Gina ebenso schleierhaft wie das mit den Kleidern – musste sie zugeben, dass ihr das Kleid gut stand.
»Ja, das ist perfekt«, stimmte Ashleigh zu, dann bedeutete sie Gina, sich
Weitere Kostenlose Bücher