Wolfsflüstern (German Edition)
umzudrehen.
Sie tat es, dann betrachtete sie fasziniert die Fremde im Spiegel. Das Kleid saß wie angegossen, und die Farbe, eine Mischung aus Rot und Braun – Rostrot, wie die As insistierten –, verlieh Ginas braunem Haar goldene Glanzlichter.
»Wenn du das morgen anziehst«, sagte Amberleigh, »wird kein Mann den Blick von dir abwenden können.«
Gina wusste nicht, inwiefern ihr das helfen sollte, gleichzeitig konnte es auch nicht schaden.
»Aber du kannst kein solches Kleid, ohne High Heels wie diese tragen.« Ashleigh reichte ihr ein paar Knöchelbrecher von der Farbe eines Kupferpennys.
»Nein, das denke ich nicht.« Gina versuchte, sie ihr zurückzugeben, aber Ashleigh versteckte die Hände hinter dem Rücken und schüttelte vehement den Kopf.
»Die ganze Wirkung geht flöten, wenn du die Schuhe nicht dazu trägst.«
»Die ganze Wirkung wird flöten gehen, wenn ich aufs Gesicht falle und mir die Nase breche«, wandte Gina ein.
»Sogar junge Mädchen tragen High Heels«, sagte Ashleigh.
»Speziell junge Mädchen«, bestätigte Amberleigh. »Dadurch sehen ihre Beine unendlich lang aus. Und die Männer stellen sich vor, wie sich diese Beine anfühlen, nackt um ihren Rücken geschlungen und …«
»Ich werde die Schuhe tragen«, kapitulierte Gina, und das nicht nur, weil sie befürchtete, ihr könnten die Trommelfelle platzen, wenn sie den Rest des Satzes hören würde, sondern auch, weil sie die Vision, die vor ihrem geistigen Auge aufstieg, loswerden musste.
Die Vision ihrer langen nackten Beine, die Teo Mecate umschlangen.
»Danke.« Für einen Moment waren ihr die As fast schon sympathisch.
Gina hatte so etwas wie das hier noch nie getan. Sie kannte kein Austauschen von Kleidern und Schuhen, keine Gespräche über Jungs, keine Schlummerpartys. Die wenigen Freundinnen, die sie während ihrer Schulzeit gehabt hatte, waren ihr nie wie echte Freundinnen vorgekommen, weil sie ihr ständig von den vielen lustigen Dingen erzählten, die sie unternahmen, während Gina auf der Ranch schuftete.
Sicher, sie hatte Jase gehabt, würde ihn immer haben. Trotzdem konnte er ihr keine Freundin ersetzen.
»Warum helft ihr mir?«, wunderte sie sich laut.
Sollte sie erwartet haben, Entschuldigungen für grobes Benehmen zu hören, vielleicht auch eine Bemerkung darüber, dass Mädchen zusammenhalten mussten, oder ein spontanes Freundschaftsangebot, das Gina in ihrer derzeitigen Gemütslage womöglich angenommen hätte, so wurde sie enttäuscht.
Denn was sie als Antwort bekam, war ein Gähnen von Ashleigh. »Wir waren gelangweilt.«
Und ein Achselzucken von Amberleigh. »Es ist schließlich nicht so, als könntest du uns bei den Männern Konkurrenz machen. Noch nicht mal in diesem Kleid.«
»Als wären noch irgendwelche Männer übrig, um die man sich streiten könnte«, murmelte Ashleigh verächtlich. »Nur zwei alte Männer, ein Vater und ein kleiner Junge.«
»Was ist mit Jase?«, fragte Gina, dann biss sie sich auf die Zunge. Wieso versuchte sie, die beiden auf ihren besten Freund zu hetzen?
»Er würde nie von hier weggehen, und ich werde ganz bestimmt nicht bleiben«, antwortete Ashleigh, und Amberleigh nickte zustimmend.
Von Zeit zu Zeit sagten die As etwas, das bei Gina den Verdacht weckte, dass die beiden schlauer waren, als sie vorgaben. Denn sie hatten recht. Jase würde Nahua Springs nie verlassen; genauso wenig wie sie.
Gina war ein bisschen angewidert von sich selbst. Nachdem die As behauptet hatten, sie könne es nicht mit ihnen aufnehmen, hatte sie tatsächlich einen Moment des Konkurrenzdenkens durchlebt, begleitet von dem Vorsatz: Euch werde ich es zeigen .
Gina massierte sich die Stirn.
Das Kleid, die Schuhe und die beiden blonden Taubnüsse setzten ihr zu. Sie führte keinen Konkurrenzkampf, weder in Bezug auf Männer noch sonst irgendwie. Das Outfit sollte dazu dienen, dass sie sich gut fühlte und das nötige Selbstbewusstsein mitbrachte, um diesen Drachen von einem Ex-Banker in seiner Höhle zu erschlagen.
Und sollte Mr Morris sich von ihrem Ausschnitt oder ihren Beinen dazu animieren lassen, ihr einen Aufschub von sechzig Tagen zu gewähren, bevor er die Ranch verkaufte … Gina zuckte im Geist mit den Schultern. Dann hatte er sich das durch sein Gaffen selbst eingebrockt.
Irgendwo war da ein Haken in ihrer Logik, aber sie beschloss, nicht weiter danach zu suchen.
Die As hielten sie bis weit nach Mitternacht auf den Beinen – sie musste schließlich warten, bis ihr Nagellack
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