Wolfsflüstern (German Edition)
umgestaltet worden und protzte nun mit dreiundneunzig viktorianischen Zimmern, jedes davon ausgestattet mit einem hochmodernen Bad.
Der Rezeptionist beugte sich nach vorn und senkte die Stimme, als wollte er Matt ein großes Geheimnis anvertrauen. »Louis L’Amour schlief immer in Zimmer 202.«
»Okay.« Matt hatte keine Ahnung, warum das wichtig sein sollte.
»Er sagte, die Musik aus dem daruntergelegenen Diamond Belle Saloon helfe ihm dabei, seine Bücher zu schreiben.«
»Schön für ihn.«
»Würden Sie gern dort wohnen? Es ist frei.«
»Warum sollte ich Musik hören wollen?«
Der Mann warf einen vielsagenden Blick zu der Laptop-Tasche in Matts Hand.
»Ach so«, meinte der. »Ich bin kein Schriftsteller, sondern …«
»Sie müssen sich nicht erklären, Sir. Viele unserer Gäste sind internetsüchtig.« Der Mann richtete sich auf, schlug ein paar Computertasten an, dann nickte er, zufrieden über das, was seine Tippfähigkeiten zutage gefördert hatten. »Bevorzugen Sie ein Zimmer mit freiem Internetzugang?«
Matt gab erst keine Antwort, da er die Frage für rein rhetorisch hielt – wieso sollte jemand keinen freien Internetzugang wollen? –, doch als der Angestellte ihn, die hellen, fast unsichtbaren Brauen hochgezogen, weiter taxierte, sagte er schließlich: »Klar!«
Nachdem Matt geduscht, frische Klamotten angezogen und eine halbe Stunde an seinem Computer verbracht hatte, fühlte er sich fast wieder wie er selbst. Über Google hatte er Benjamin Morris, einen pensionierten Banker, der sich selbstständig gemacht hatte, indem er verschuldete Unternehmen aufkaufte und den Kreditnehmern höhere Zinsen berechnete, aufgespürt. Doch als Matt anrief, um einen Termin mit ihm zu vereinbaren, wurde ihm mitgeteilt, Mr Morris sei bis Montag nicht erreichbar.
Obwohl er sich nun mehrere Tage gedulden musste, ehe er den nächsten Schritt unternehmen konnte, genügte ihm allein das Wissen, in welche Richtung dieser Schritt führen würde, dass er sich erfrischt, beschwingt und bereit fühlte, die Mecate-Theorie zu beweisen und damit seinen Job zu behalten. Er würde nicht zulassen, dass irgendjemand – nicht einmal die sinnliche Gina O’Neil – ihm dabei in die Quere kam. Und angesichts der Klemme, in der sie steckte, würden sie letztendlich beide von seinem Plan profitieren.
Er verbrachte den Freitag damit, durch das faszinierend alte und zugleich behaglich modernisierte Strater Hotel zu flanieren, sich ein Glas Wein im Spiritorium zu genehmigen und anschließend ein Abendessen im benachbarten Mahogany Grille , wo er das Elchfilet mit Missachtung strafte und sich stattdessen über ein Kansas-City-Steak hermachte.
Samstag und Sonntag unternahm er Spaziergänge durch das übertrieben westernartig aufgemotzte, aber trotzdem irgendwie lustige Durango. Sie hatten gute Arbeit dabei geleistet, die Innenstadt als eine Art Hommage an den Wilden Westen zu erhalten. Hätte Matt es nicht besser gewusst, er hätte geglaubt, dass es den Buchladen und das Süßwarengeschäft tatsächlich schon seit 1875 gab.
In den Pausen zwischen seinen kurzen touristischen Streifzügen stellte Matt ein paar Recherchen an. Er konnte das freie Internet nicht einfach ungenutzt lassen.
So erfuhr er, dass Gina, als einziges Kind ihrer Eltern, die Nahua Springs Ranch nach deren Unfalltod geerbt hatte. Was diesen Unfalltod betraf, gab es über das Wort Unfall hinaus keine näheren Erklärungen, was eine Menge Raum für Spekulation ließ. Dass die näheren Umstände nicht bekannt waren, zeigte, wie einflussreich die O’Neils in der Gegend gewesen waren.
Nahua Springs war früher eine angesehene Pferdezucht-Ranch gewesen. Betsy O’Neil galt als eine der besten Züchterinnen, Pete als einer der besten Trainer. Nahua Springs war erst nach ihrem Tod von einer echten Ranch in eine für Feriengäste umgemodelt worden.
Obwohl sie den Ruf hatte, eine der besten im County zu sein, steckte sie schon seit geraumer Weile in finanziellen Schwierigkeiten. Gina musste schon eine Menge »Ich will ein Cowboy sein«-Pakete verkaufen, um auch nur die monatlichen Hypothekenzahlungen berappen zu können, ganz zu schweigen von den Steuern, die in den letzten Jahren jede Schmerzgrenze gesprengt hatten.
In Wahrheit wäre die Nahua Springs Ranch ohne Benjamin Morris’ Eingreifen schon vor Jahren verloren gewesen.
Matt massierte seine müden Augen. Gina war seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr für die Ranch verantwortlich. Sie konnte ein bisschen Hilfe
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