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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Punkt zu bringen: das, was er um ein Haar getan hätte.
    Und er kannte auch den Grund dafür.
    Es hatte nichts mit dem Mann im Parkhaus zu tun, und auch nichts mit irgendeiner finsteren Dimension auf der anderen Seite der Wirklichkeit; eine Vorstellung, die ihm jetzt, im hellen Sonnenlicht, ohnehin mit jedem Augenblick lächerlicher vorkam.
    Das einzige Problem, das er hatte, war er selbst. Er begann eine ausgewachsene Paranoia zu entwickeln, und er würde etwas dagegen unternehmen.
    Er wußte sogar schon, was.
    Gute zwei Stunden später betrat Stefan Mewes schon wieder einen Aufzug, und es geschah natürlich genau das, was er auf einer unbewußten Ebene seines Denkens die ganze Zeit über befürchtet hatte: Die Umgebung weckte ungute Erinnerungen, und er hatte die Kabine noch nicht ganz betreten, da begann sich bereits ein Gefühl der Beklemmung in ihm breitzumachen. Auch wenn es wohl vollkommen andere Ursachen hatte: In diesem Aufzug hätte er sich vermutlich auch dann nicht besonders wohl gefühlt, wenn es die häßliche Szene vom Vormittag nicht gegeben hätte. Der Aufzug bewegte sich rumpelnd nach oben. Er fuhr sehr langsam. Manchmal dauerte die Pause zwischen dem Wechsel der kleinen Lichter über der Tür lange genug, daß Stefan sich fragte, ob er vielleicht steckengeblieben war, und zwei-oder dreimal hatte es einen so heftigen Ruck gegeben, daß er wirklich damit rechnete, festzustecken. Die Kabine war klein, unglaublich heruntergekommen und über und über mit Graffiti übersät, beziehungsweise den obszönen Kritzeleien, die ihre Urheber dafür hielten. Stefan atmete innerlich auf, als über der Tür endlich die »12« aufleuchtete und sich die Türen rumpelnd und widerwillig auseinanderbewegten. Er konnte sich angenehmere Orte vorstellen, an denen er unter Umständen Stunden damit zubrachte, auf den Notdienst zu warten - falls er kam. Er hätte keine große Summe darauf gewettet, daß der Alarmknopf neben der Tür funktionierte.
    Der Korridor, in den er hinaustrat, bot allerdings auch keinen wesentlich vertrauenerweckenderen Anblick. Ein scheinbar endlos langer, nahezu unbeleuchteter Schlauch mit ungefähr einer Million Türen auf jeder Seite. Es gab kein Tageslicht, und zwei von drei Lampen, die in ohnehin viel zu großen Abständen unter der Decke angebracht waren, funktionierten nicht. Im ersten Moment hatte er Schwierigkeiten, sich zu orientieren und ging in die falsche Richtung, dann machte er kehrt, fand mit einiger Mühe das richtige Appartement und drückte den Klingelknopf.
    Er hörte nichts. Die Klingel war entweder sehr leise, oder sie funktionierte nicht; was Stefan kaum gewundert hätte. Das Haus machte schon von außen einen verwahrlosten Eindruck, der Zustand, den sein Inneres bot, war katastrophal. Zum Ausgleich waren die Mieten vermutlich horrend. Stefan kannte Häuser wie diese zur Genüge; allein, weil Becci und er vor nicht allzu langer Zeit eine Reportage über diese modernen Ghettos gemacht hatten. Er erinnerte sich nicht gerne daran zurück. Sein Glauben an eine höhere Gerechtigkeit und daran, daß das Leben trotz allem unterm Strich
fair
war, hatte damals einen gehörigen Knacks bekommen.
    Er klingelte noch einmal, beugte sich vor und versuchte aus zusammengekniffenen Augen das handgeschriebene Namensschildchen neben der Tür zu entziffern. Es gelang ihm nicht. Die Handschrift war nicht nur fast unleserlich, sondern auch fast bis zur Unkenntlichkeit verblaßt. Er hob die Hand, trat einen halben Schritt zurück und klopfte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Schließlich hörte er Schritte. Die Tür wurde geöffnet, und er starrte in ein ziemlich verdutztes, von rotbraunem Haar eingefaßtes Frauengesicht.
    Stefan war im allerersten Moment allerdings mindestens ebenso überrascht wie sie. Ohne ihre Schwesterntracht, das weiße Häubchen und das streng zurückgekämmte Haar hätte er Schwester Danuta beinahe nicht erkannt. Sie sah nicht nur um mindestens zehn Jahre jünger aus, sondern auch irgendwie...
weiblicher.
Sehr viel weiblicher, um genau zu sein.
    Plötzlich begriff Stefan, daß er Schwester Danuta bis zu diesem Moment noch niemals als Frau gesehen hatte, sondern nur als das Neutrum, zu dem ihre Schwesterntracht sie machte. Aber sie war eine Frau, und noch dazu eine äußerst attraktive.
    Die Heftigkeit seiner eigenen Reaktion überraschte ihn, und sie war ihm fast peinlich, obwohl er sicher war, daß man seinem Gesicht nichts davon ansah, schon gar nicht bei dem schlechten Licht hier

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