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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bereich der Wirklichkeit herausdrang, in den die Drehtür für einen kurzen Moment zurückgeschnappt war.
    Für eine einzelne, angsterfüllte Sekunde rührte sich der Aufzug nicht. Der Mercedesfahrer hämmerte mit den Fäusten gegen die Türen und schrie, zum Teil Beleidigungen, zum Teil einfach unartikuliert. Vielleicht hatte er den Knopf gedrückt, und die Türen würden sich wieder öffnen? Er würde hereinkommen, und einer von ihnen würde den anderen umbringen.
    Dann erzitterte der Boden, und die Kabine setzte sich in Bewegung.
    Die Anspannung fiel von ihm ab wie ein getragenes Kleidungsstück. Stefan atmete hörbar ein, ließ sich regelrecht nach hinten fallen und prallte schwer mit Kopf und Schultern gegen die metallene Rückwand, und wieder schlug das Pendel für einen Moment in die Gegenrichtung. Brodelndem Zorn und dem absoluten Willen, irgend etwas zu packen und zu zerstören, folgten Furcht und ein so starkes Zittern seiner Hände, daß seine Finger mit einem hörbaren
Klackediklack
gegen die Kabinenwand trommelten. Sein Herz jagte. Die Luft in seiner Kehle schmeckte plötzlich nach Metall und schien zu schneiden.
    Großer Gott, was war mit ihm los? Was geschah mit ihm?! Er konnte hören, wie der Verrückte dort oben noch immer gegen die Aufzugtüren trommelte, so daß das ganze Parkhaus zu dröhnen schien. Der Aufzugsschacht fing den Lärm auf und mußte als Verstärker fungieren, die Faustschläge hörten sich jetzt tatsächlich an wie Maschinengewehrfeuer, und dieser Irrsinnige schrie dazu, als würde er tatsächlich von Kugeln durchsiebt.
    Mit angehaltenem Atem wartete Stefan, bis der Aufzug am Ziel war, und stürzte regelrecht aus der Kabine. Sein Wagen stand zwei Etagen höher, aber er erwog nicht einmal den Gedanken, einen der anderen Aufzüge zu benutzen, sondern rannte mit weit ausgreifenden Schritten zum Treppenhaus, riß die Tür auf und sprintete die nackten Betonstufen empor, gehetzt von einer gestaltlosen Furcht, die mit jedem Schritt zuzunehmen schien. Das Geschrei und der Lärm hatten aufgehört, aber das mußte nicht bedeuten, daß sich der Verrückte dort oben beruhigt hatte. Was, wenn er ihm plötzlich hier im Treppenhaus entgegenkam? Oder zwei Etagen höher hinter der Tür auf ihn wartete, bewaffnet mit einem Wagenheber oder einer Eisenstange und mit Schaum vor dem Mund?
    Quatsch. Trotz allem war er noch klar genug im Kopf, um sich zu sagen, daß das ganz und gar ausgeschlossen war, schon aus dem simplen Grund, daß der Mann gar nicht wissen konnte, in welchem Parkdeck sein Wagen stand.
    Trotzdem nahm er sein Tempo nicht zurück, sondern stürmte so schnell weiter und durch die Tür, daß er sich schmerzhaft die Schulter anstieß. Die letzten Meter zu Roberts BMW rannte er tatsächlich.
    Er war so nervös, daß er im ersten Moment vergaß, daß der Wagen eine elektronische Wegfahrsperre besaß und drei-, vier-, fünfmal vergeblich den Zündschlüssel drehte, ehe er auf die Idee kam, die entsprechende Ziffernkombination in die Tastatur einzutippen. Der Motor sprang an und heulte auf wie ein gequältes Tier, als Stefan viel zuviel Gas gab. Noch bevor Stefan realisierte, daß er nicht in seinem eigenen, altersschwachen VW Golf saß, sondern in Roberts Wagen mit gut fünfmal so vielen Pferdestärken, machte der BMW einen Satz aus der Parklücke, mit dem er zwei parallele schwarze Gummispuren auf dem Beton hinterließ, und schoß auf einen anderen Wagen zu. Stefan schrie erschrocken auf, kurbelte wie verrückt am Lenkrad und schaffte es irgendwie, dem nahezu sicheren Zusammenprall im allerletzten Moment doch noch auszuweichen. Der BMW schoß heftig schlingernd über das Parkdeck, verfehlte zwei weitere
    Wagen buchstäblich um Haaresbreite und kam endlich mit kreischenden Reifen zum Stehen. Der Motor ging aus.
    Stefan ließ die Stirn auf das Lenkrad sinken, schloß die Augen und atmete so heftig aus, daß es in seinen Ohren wie ein kleiner Schrei klang. Er zitterte am ganzen Leib. Sein eigener Schweißgeruch stach ihm in die Nase, und seine Pulsfrequenz mußte sich der zweitausend nähern. Er wußte nicht, wie lange er so dahockte, verkrampft, mit rasendem Herzen und am ganzen Leib wie Espenlaub zitternd, doch das Gesicht, das ihm entgegensah, als er endlich den Kopf hob und in den Innenspiegel des BMW sah, schien einem Fremden zu gehören; einem fremden
Gespenst:
hohlwangig, bleich und glänzend vor Schweiß. Sein Herz schlug so heftig, daß er im Spiegel sehen konnte, wie die Adern an

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