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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zuviel.«
    Rebecca schwieg. Er konnte regelrecht spüren, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Sie war nicht dumm, und schon gar nicht begriffsstutzig. Schließlich sagte sie auch nur: »ja. Vielleicht.«
    »Ich mache mich jetzt auf den Weg«, sagte Stefan. »Bleib am besten, wo du bist. Vielleicht reißt dir Doktor Krohn ja nicht den Kopf ab, wenn ich dich zurückbringe, statt eine seiner Krankenschwestern. Und sprich mit niemandem, den du nicht kennst.«
    »Versprochen«, antwortete Rebecca. In ihrer Stimme lag plötzlich ein gespannter, alarmierter Unterton. »Und beeil dich.«
    Die Verbindung wurde mit einem scharfen Klicken unterbrochen, und Stefan erhob sich und ging zur Tür, um das zu tun, was er ihr versprochen hatte, nämlich, sich auf der Stelle auf den Weg zum Krankenhaus zu machen. Er war plötzlich beunruhigter, als er zugeben wollte. Weitaus beunruhigter als vor seinem Gespräch mit Rebecca, so als hätten seine Worte einen Schrecken geweckt, der zwar die ganze Zeit über dagewesen war, den er aber bisher mit Erfolg verleugnet hatte. Jetzt war er wach und pirschte sich auf tappenden Pfoten an ihn heran.
    Stefan betrachtete sein eigenes Konterfei im Spiegel über der Kommode, schüttelte ein paarmal den Kopf und schnitt sich dann selbst eine Grimasse. Er mußte vor allen Dingen Ruhe bewahren. Wildes Hin- und Herspekulieren schadete nur. Ihm und Rebecca am allermeisten.
    Sein Blick fiel auf das Päckchen auf der Kommode. Er nahm es in die Hand, las den Adressaufkleber und stellte erst jetzt fest, daß es an Rebecca adressiert war, nicht an ihn. Absender war irgendein obskures Versandhaus in London, von dem er noch nie gehört hatte. Achselzuckend steckte er das Päckchen ein, öffnete die Tür -
    - und blickte in das schönste Frauengesicht, das er jemals gesehen hatte.
    Es war das Mädchen vom Morgen. Stefan erkannte sie auf den ersten Blick wieder, und trotzdem hatte er alle Mühe, das Antlitz dieser dunkelhaarigen, exotischen Göttin mit dem Gesicht der Aushilfs-Punkerin von heute morgen gleichzusetzen. Es gab nicht den geringsten Zweifel: Es war dieselbe Frau, nicht nur eine zufällige Ähnlichkeit, sondern eindeutig dieselbe Frau, und trotzdem war der Unterschied so groß, wie er nur sein konnte. Das Mädchen von heute morgen war ein Irgendwer gewesen, ein hübsches Gesicht mit einem unpassenden Ambiente, vielleicht eines zweiten Blickes wert, aber nicht mehr.
    Diese Frau hier war eine Göttin. Ihr Gesicht war schmal, hatte aber nicht jenen schon fast ausgemergelten Zug, der die meisten Fotomodelle heutzutage auszeichnete, Stefans Geschmack aber gar nicht traf. Sie hatte einen dunklen, sehr gleichmäßigen Teint, der perfekt mit ihrem nachtschwarzen Haar harmonierte. Ihre Augen waren groß, dunkel und von vollkommen undefinierbarer Farbe: ein sehr dunkles Grün vielleicht, in dem Partikel von Braun, Blau und Schwarz zu schimmern schienen, wie verschiedenfarbene Sterne in den letzten Momenten der Dämmerung, und ihre Lippen waren sinnlich, voll und so geschnitten, daß sie zu einem permanenten Lächeln verzogen zu sein schienen. Obwohl sie noch immer so ungekämmt war und dieselben verwahrlosten Kleider trug wie am Morgen, wußte Stefan mit unerschütterlicher Sicherheit, daß der Körper darunter ebenso perfekt geformt und makellos war wie dieses Gesicht.
    Aber es war wie bei dem Fremden vorhin im Parkhaus: Was er wahrnahm, das war mehr als die bloße Summe dieser einzelnen Eindrücke. Was alle seine Sinne für einen Moment so sehr überreizte wie ein Hunderttausend-Volt-Blitz die Optik einer billigen Pocketkamera und ihn einfach erstarren ließ, das war die bloße Tatsache, daß sie
da
war; sie stand vor ihm, und allein diese Präsenz erschlug ihn einfach. Diesmal bedurfte es keines Monsters aus dem Reich der Schatten, keiner Explosion seiner Wahrnehmungsfähigkeit. Die Welt blieb, wie sie war; sie war es, die alle normalen Reize hundertfach verstärkt auszustrahlen schien.
    »Herr Mewes?«
    Der Klang ihrer Stimme zerbrach den Bann. Sie war wunderschön, ein samtweiches, rauchiges Flüstern, der einzige Klang, der zu diesem gottgleichen Gesicht passen konnte, und trotzdem holte er ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Er nickte, trat einen halben Schritt zurück und dann einen ganzen wieder auf sie zu, als er sich der Worte seiner Nachbarin erinnerte: Sie hatte von
zwei
Besuchern gesprochen.
    »Der bin ich«, antwortete er. Gleichzeitig warf er einen raschen Blick nach rechts in den Korridor,

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