Wolfsherz
dann nach links. Niemand. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin Sonja«, antwortete die junge Frau. Ihr Akzent erinnerte an den Schwester Danutas, war jedoch viel ausgeprägter, aber keineswegs unangenehm. Im Gegenteil verlieh er ihrer Stimme etwas beinahe Erotisches.
Stefan trat wieder einen Schritt zurück, um sein Gegenüber noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen, und diesmal vielleicht objektiv. Jetzt, wo er wieder klar denken konnte und der unheimliche Zauber des Augenblicks vorbei war, kam er sich nicht nur ziemlich naiv vor, seine eigenen Gedanken waren ihm auch peinlich. Aber zumindest stand er jetzt wieder einer ganz normalen jungen Frau gegenüber, keiner strahlenden Lichtgestalt mehr, deren bloße Anwesenheit ihn paralysierte. Es war immer noch eine ausgesprochen attraktive junge Frau, aber mehr auch nicht. Stefan verstand beim besten Willen nicht mehr, warum er gerade so heftig auf sie reagiert hatte.
Einige Sekunden verstrichen, in denen Sonja einfach nur dastand und nichts tat; das aber auf eine Art und Weise, die klarwerden ließ, daß
sie
umgekehrt auf eine bestimmte Reaktion von
ihm
wartete.
»Sonja, so«, sagte er schließlich. »Sollte mir das etwas sagen?« »Wahrscheinlich nicht«, gestand die Schwarzhaarige. »Ich bin Liddias Schwester.«
»Aha«, sagte Stefan. Er legte den Kopf schräg. »Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht ganz. Ich kenne keine... Liddia.«
»Wahrscheinlich haben Sie ihr einen anderen Namen gegeben«, antwortete Sonja. »Woher sollten Sie ihn auch kennen.«
Stefan starrte sie an. Er spürte, wie ein Nerv an seiner rechten Wange zu zucken begann, doch das war auch die einzige Bewegung, zu der er überhaupt fähig war. Er wußte natürlich genau, wovon Sonja sprach, aber in seinem Kopf schien plötzlich eine Wand zu sein, die diesen Gedanken trotz allem irgendwie blockierte, so daß er nicht in letzter Konsequenz an sein Bewußtsein zu dringen vermochte.
»Wovon... reden Sie überhaupt?« krächzte er. Diese vier Worte auszusprechen zehrte seine gesamte Kraft auf.
»Das wissen Sie doch genau«, antwortete Sonja. Sie lächelte immer noch. »Meine Brüder und ich sind hier, um Liddia zurückzuholen.«
Sie hob die Hand, legte in einer geziert wirkenden Geste die gespreizten Finger auf die Tür und stieß sie auf. »Ist sie hier?« Ohne Stefans fassungslosen Blick und seinen noch viel fassungsloseren Gesichtsausdruck auch nur zur Kenntnis zu nehmen, ging sie an ihm vorbei, durchquerte den Flur und blieb unter dem Durchgang zum Wohnzimmer wieder stehen. »Nein«, sagte sie. »Sie ist nicht hier. Wo ist sie?«
Stefan überwand endlich seine Überraschung, warf die Tür ins Schloß und setzte Sonja mit zwei, drei schnellen Schritten nach. Seine Gedanken überschlugen sich. »Was soll das heißen?« stammelte er. »Wer... wer sind Sie? Wovon reden Sie? Ich kenne keine Liddia, und ich kenne auch Sie nicht. Und ich kann mich auch nicht erinnern, Sie zum Hereinkommen aufgefordert zu haben.«
Sonja sah nicht einmal zu ihm zurück, sondern bewegte weiter mit raschen, aber regelmäßigen Bewegungen den Kopf nach rechts und links und wieder zurück, um sich in Stefans Wohnzimmer umzusehen. Immer, wenn sie ihm dabei das Profil zuwandte, konnte er sehen, wie sich ihre Nasenflügel blähten. Fast, als nähme sie... Witterung auf?
»Ich rede mit Ihnen«, sagte er. Er stand dicht genug hinter ihr, um sie an der Schulter zu packen und sie auf diese Weise zu zwingen, sich zu ihm herumzudrehen, aber er wagte es nicht, sie zu berühren. In dem emotional aufgepeitschten Zustand, in dem er sich befand, vermochte er nicht vorherzusagen, wie er reagieren würde, wenn er dazu gezwungen war, sie anzufassen.
»Ich habe Sie verstanden.« Sonja drehte sich - er war sicher, ganz bewußt provozierend - langsam zu ihm herum und musterte ihn mit einem langen, eindringlichen Blick von Kopf bis Fuß.
»Was soll das?« fragte Stefan. Seine Gedanken überschlugen sich noch immer, und seine Stimme war zwar laut, aber nicht annähernd so selbstsicher und souverän, wie es nötig gewesen wäre. Ganz im Gegenteil hatte sie jenen Ton hysterischer Aggression, der ihn von vornherein zum Verlierer machte.
Sonja machte sich auch nicht einmal die Mühe, den Blick zu heben, sondern setzte ihre Musterung ungerührt und auf die gleiche, schwer in Worte zu fassende
Art fort. Eine Art, die dem Unbehagen in Stefan nicht nur neue Nahrung gab, sondern ihn fast in Panik versetzte.
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