Wolfsherz
Verfolger wieder zu vergrößern, indem er zu selbstmörderischen Überholmanövern ansetzte oder auf kreischenden Reifen im letzten Moment abbog. Trotzdem gelang es ihm nicht, den Honda wirklich abzuschütteln. Der Wagen holte jedesmal mit Leichtigkeit wieder auf, so daß sich Stefan zu fragen begann, ob er selber in diesem Rennen bisher wirklich so gut mithielt oder ob der andere vielleicht einfach nur mit ihm spielte.
Er fragte sich auch, wie lange diese Amokfahrt noch gutgehen würde. Obwohl es ihm wie eine Ewigkeit vorkam, war seit dem Beginn dieser Höllenjagd allerhöchstens eine Minute vergangen. Trotzdem hatten sie bisher schon mindestens drei Unfälle verursacht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Wahnsinnstrip entweder in einem schweren Unfall endete oder sie von einer Polizeistreife gestoppt wurden. Er mußte diese Kerle loswerden!
Eine weitere Ampel tauchte am Ende der Straße vor ihm auf. Stefan drückte auf die Hupe, blendete die Scheinwerfer voll auf und gab vorsichtig ein wenig mehr Gas. Trotzdem machte der Wagen auch jetzt wieder einen regelrechten Satz und schoß über die Straßenkreuzung. Diesmal blieb das Kreischen von Bremsen und das zornige Hupen aus. Er hatte Glück gehabt; es gab keinen Querverkehr. Aber der Honda war noch immer hinter ihm. Der BMW hatte zweifellos genug PS, um die viel schwerere Limousine abzuhängen. Aber nicht hier. Und es würde nicht besser werden. Noch drei Blocks, und sie waren in einer Gegend, in der der Verkehr schon unter normalen Umständen zähflüssig wie Sirup war. Stefan wagte sich gar nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn er zum Anhalten gezwungen wurde.
Die nächste rote Ampel. Das Glück blieb ihm treu: Er jagte auch jetzt bei Rot über die Kreuzung, ohne daß irgend etwas passierte, und für einen Moment war die Straße vor ihm voll' kommen frei. Stefan beschleunigte mit aller Kraft, und diesmal fiel der Honda im Spiegel sichtbar zurück. Zwei Minuten, dachte er beinahe verzweifelt. Wenn er zwei oder maximal drei Minuten freie Bahn hätte, dann konnte er in dieser Rakete auf Rädern jeden beliebigen Verfolger abhängen.
Aber zwei oder gar drei Minuten, das waren zwei oder drei Ewigkeiten, unter den gegebenen Umständen. Ebensogut konnte er darauf hoffen, daß ein UFO vom Himmel kam und seine Verfolger zur Venus entrührte.
Ein Blick in den Rückspiegel zeigte ihm, daß der Honda weiter zurückgefallen war. Die Tachonadel hatte die Hundert längst überschritten, und das Ende der freien Rennstrecke war bereits in Sicht. Trotzdem beschleunigte Stefan noch etwas mehr. Er verschwendete sogar einen belustigt-hysterischen Gedanken daran, daß Roberts Rechtsanwalt in den nächsten Tagen nun
wirklich
etwas für sein Geld tun mußte, falls irgend jemand die Nummer des BMW notierte und er diese Amokfahrt lebend überstand.
Der Honda holte jetzt wieder auf. Der Wagen war zwar langsamer als der BMW, aber nicht viel. Der Fahrer hatte die Scheinwerfer eingeschaltet und voll aufgeblendet, und Stefan wäre wahrscheinlich kein bißchen überrascht gewesen, hätte der Beifahrer im nächsten Moment das Fenster heruntergelassen, um sich hinauszulehnen und auf ihn zu schießen. Er mußte sich etwas einfallen lassen. Schnell.
Die letzte Kreuzung tauchte vor ihm auf; hundert Meter dahinter drohte eine rote Ampel, an der die Straße in eine stark befahrene Querverbindung einmündete. Seine Chancen, dieses Hindernis unbeschadet zu überwinden, standen ungefähr zehn Millionen zu eins. Gegen ihn.
Stefan trat hart auf die Bremse, riß das Steuer brutal nach rechts und gab praktisch im selben Sekundenbruchteil wieder Gas. Der Motor des BMW heulte protestierend auf, während sich der Wagen einmal komplett um seine eigene Achse drehte. Stefan keuchte erschrocken; unmittelbar darauf ging sein Keuchen in einen abgehackten Schmerzensschrei über, als er nach vorne und in die Sicherheitsgurte geworfen wurde. Zum erstenmal seit Tagen spürte er seine verletzte Schulter wieder. Und damit nicht genug: Als hätte der Schmerz einen längst eingerosteten und vergessenen Schaltkreis in seinem Gehirn wieder aktiviert, explodierte ein zweiter, ungleich schlimmerer Schmerz in seinem Bein. Stefan schrie gequält auf, umklammerte das Lenkrad mit aller Kraft und versuchte den Wagen irgendwie wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Er konnte hinterher nicht sagen, ob es pures Glück oder die fast übermenschlichen Fähigkeiten waren, die man Menschen nachsagte, die Todesangst
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