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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er war nicht nur irgendein Soldat gewesen, sondern der Kommandeur einer Spezialeinheit, die sich schon während des Afghanistan-Feldzuges und später dann in der Ukraine durch besondere Brutalität hervorgetan hatte. Es war ihnen trotz intensiver Recherchen nicht gelungen herauszubekommen, was damals wirklich geschehen war. Vielleicht hatte Barkow den Bogen einfach überspannt, und sein Vorgehen war selbst seinen Vorgesetzten zu brutal geworden. Es gab Gerüchte von Massakern an der Zivilbevölkerung, aber das waren nur Gerüchte, mehr nicht. Möglicherweise war man im Kreml etwas sensibilisierter geworden, was die Meinung der Weltöffentlichkeit anging, oder man hatte einfach einen Sündenbock gesucht, und für diese Rolle waren Männer wie Barkow geradezu prädestiniert: perfekte Werkzeuge, die hundertprozentig funktionierten, und die man im richtigen Moment sogar noch publikumswirksam fallenlassen konnte. Vielleicht war die Erklärung aber auch völlig anders und viel banaler - gleichwie, vor ungefähr drei Jahren war Major Barkow jedenfalls in Ungnade gefallen und sollte seines militärischen Ranges enthoben und verhaftet werden.
    Gregorij Barkow reagierte etwas anders, als seine Vorgesetzten scheinbar erwartet hatten. Statt auch diesem letzten Befehl zu gehorchen, tötete er die beiden KG B-Agenten, die gekommen waren, um ihn nach Moskau zu bringen, und setzte sich ab; wobei er mehr als die Hälfte seiner Einheit und alle Waffen und alles militärische Material mitnahm, das sie tragen konnten. Seither traten er und seine Männer als Waffenhändler, Söldner und in Ausübung anderer einschlägiger »Berufe« in Erscheinung, an den verschiedensten Orten der Welt, aber immer da, wo es Arger und schmutziges Geld zu verdienen gab. Es hatte Stefan kein bißchen überrascht, daß er schließlich auch hier in Bosnien-Herzegowina aufgetaucht war.
    Und dieser Mann wartete nun dort drüben auf Rebecca und ihn. Und er wunderte sich, daß er nervös war? Er hatte allen Grund dazu.
    Wissler hatte von einer halben Stunde gesprochen, und vermutlich war es in Wirklichkeit auch nicht viel mehr, aber Stefan kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. Sicherlich lag es zum allergrößten Teil an seiner Nervosität - man hätte das Gefühl auch schlichtweg Angst nennen können, aber er war noch nicht soweit, das zuzugeben -, aber es kam auch noch etwas anderes hinzu, das im ersten Moment fast unmerklich war, aber stärker und stärker wurde: Es war, als ob sich ihre Umgebung allmählich veränderte, und zwar nicht nur im
sichtbaren
Bereich der Dinge. Die Wagen rumpelten hintereinander auf dem Grat entlang. Es gab keinen Weg, nicht einmal eine Fahrspur - und wenn, so war Stefan nicht in der Lage, sie im blassen Licht der ausgeglühten Scheinwerfer zu erkennen -, so daß die Wagen über Felsen, durch Schlaglöcher und gefrorene Büsche rumpelten, die unter den mahlenden Reifen zersplitterten wie Glas. Manchmal lösten sich kleine Geröllawinen unter den Reifen und verschwanden in der Dunkelheit auf der linken Seite, und ein- oder zweimal antwortete ein unheimliches, langgezogenes Heulen auf das Geräusch. Stefan vermutete, daß es Wölfe waren, hütete sich aber, eine entsprechende Frage an Wissler zu richten; wie er sich selbst einredete, schon um Rebecca nicht zu beunruhigen.
    Die Dunkelheit auf der anderen Seite war kaum weniger undurchdringlich. Der Wald war hinter einer Mauer aus Schwärze verschwunden, die den beständig fallenden Schnee einfach verschluckte, so daß er mehr und mehr das Gefühl hatte, durch einen schmalen Tunnel zu fahren, dessen Wände einfach aus Nichts bestanden. Vor seinem inneren Auge entstand ein bizarres Bild, das direkt aus einem Science-Fiction- oder Horrorfilm hätte stammen können: Er sah die Jeeps hintereinander über eine schmale, geländerlose Brücke fahren, die über einen kollossalen Abgrund führte, eine Schlucht, tief genug, um ganze Welten zu verschlingen. Es gehörte nicht mehr sehr viel Phantasie dazu, um das Bild zu vervollständigen: mit dem zerborstenen Ende der Brücke, zerbröckelndem Beton und verdrehten Moniereisen, hinter denen das Nichts lauerte.
    Stefan verscheuchte das Bild, indem er sich mit einer bewußten Anstrengung klarmachte, wie lächerlich es war, aber nun schlug seine Phantasie in die entgegengesetzte Richtung um. Aus den Bäumen, die dann und wann schattenhaft aus dem Schneetreiben zur Rechten auftauchten, wurden geisterhafte Wächter mit dürren Spinnenfingern, die nach

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