Wolfsherz
aber trotzdem sehr intensiv war. Er hatte mit einem Mal fast Angst, sich zu bewegen, ja, auch nur zu blinzeln; als fürchte er, dadurch die Aufmerksamkeit von etwas Unsichtbarem, Dunklem zu erregen, das irgendwo in der Nacht lauerte.
Er sah nach rechts, als reiche ein Blick in Beccis vertrautes Gesicht, um diese widersinnige Furcht zu vertreiben, doch er sah auch auf ihren Zügen die gleiche Furcht. Zumindest etwas, das er im ersten Moment für Furcht hielt.
Sie spürte seinen Blick und erwiderte ihn. Er wartete auf ein Lächeln oder irgendein anderes Zeichen ihres normalerweise so unerschütterlichen Optimismus, aber es kam nicht. Statt dessen streckte sie die Hand aus und versuchte, die seine zu ergreifen, was aber von den dicken Handschuhen beinahe unmöglich gemacht wurde.
»Falls Sie es mit der Angst zu tun bekommen«, sagte Wissler plötzlich, »dazu ist es ein bißchen zu spät. Es gibt jetzt kein Zurück mehr.«
Stefan drehte verärgert den Kopf und begegnete Wisslers Blick im Innenspiegel. Er begriff, daß der Österreicher sie wahrscheinlich die ganze Zeit über beobachtet hatte, und das ärgerte ihn über die Maßen. »Warum sehen Sie nicht nach vome und passen auf, daß wir nicht mit einem Wolf zusammenstoßen«, fragte er spitz.
Wissler grinste, aber der Mann hinter dem Steuer fuhr so heftig zusammen, daß sich die Bewegung auf das Lenkrad übertrug und der Wagen einen Schlenker machte, der ihn für einen Moment bedrohlich nahe an die Böschung heranbrachte.
»Seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie sagen«, sagte Wissler.
»Ich dachte, der Typ versteht uns nicht?« antwortete Stefan nervös.
»Das eine oder andere offensichtlich doch«, erwiderte Wissler mit einem Achselzucken. »Wir sollten besser über das Wetter reden oder Ihr Lieblingsgericht.«
Stefan ersparte sich eine Antwort, sah den Mann hinter dem Steuer aber noch einige Sekunden lang mißtrauisch an, ehe dieser sich - nur äußerlich beruhigt - wieder zurücksinken ließ. Er war ziemlich sicher, daß der Kroate ihn verstanden hatte. Das Seltsame war nur, daß er eigentlich gar nichts Verfängliches gesagt hatte.
»Warum fahren wir eigentlich hier oben entlang?« fragte er mit einem nervösen Blick nach links. Der Berghang fiel dort sehr steil ab, nicht unbedingt senkrecht, aber doch steil genug, daß der Wagen sich garantiert überschlagen würde, falls sie vom Weg abkamen - sofern man von einem solchen überhaupt reden konnte.
»Weil Barkow auf der anderen Seite auf uns wartet«, antwortete Wissler. »Ich sagte Ihnen doch: Es gibt keinen Weg durch das Tal. Wir müssen die große Runde drehen. Aber keine Sorge. Die Männer kennen sich hier aus. Und es ist nicht sehr weit. Eine halbe Stunde, schätze ich.«
Das war genau eine halbe Stunde mehr, als Stefan ertragen zu können glaubte. Der lichtlose Abgrund neben ihnen beunruhigte ihn immer mehr, und längst nicht nur, weil die Reifen des Jeep sich der Böschung manchmal bis auf dreißig Zentimeter näherten. Irgend etwas darin machte ihm angst.
Vielleicht war es das Geräusch, das sie gehört hatten: das Heulen eines Wolfs. Stefan war einem solchen Tier niemals in freier Wildbahn begegnet, aber er hatte zumindest genug darüber gehört und gelesen, um auch nicht besonders scharf auf eine solche Begegnung zu sein. Und die Reaktion des Fahrers deutete darauf hin, daß die Wölfe dieses Tal vielleicht doch öfter verließen, als Wissler zugegeben hatte. Er bedauerte es jetzt fast, keine Waffe mitgenommen zu haben, begriff aber auch im gleichen Moment schon, wie närrisch dieser Gedanke war. Wenn es ihren sechs Begleitern mit Maschinenpistolen und Handgranaten nicht gelingen sollte, einen Angriff zurückzuschlagen, dann würde ihm eine Pistole oder irgendeine andere Waffe auch nichts mehr nützen.
Wahrscheinlich waren es in Wirklichkeit aber gar nicht die Wölfe, die ihn nervös machten, und auch nicht das Tal mit seiner gefährlichen Böschung. Sie waren nur ein bequemer Vorwand, auf den er seine Angst projizieren konnte. Die wirkliche Gefahr erwartete sie auf der anderen Seite. Barkow. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmte, was er über diesen Mann gehört hatte, dann war er zehnmal gefährlicher als alle Wölfe, die dort unten leben mochten. Wissler hatte ihn als Waffenhändler bezeichnet, aber das war nur ein Teil der Wahrheit, vielleicht sogar nur der
allerkleinste
Teil.
Barkow - Major Gregorij Barkow, um genau zu sein - hatte bis vor drei Jahren in der Roten Armee gedient, und
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