Wolfsherz
beieinander, daß er die Zwischenräume ohne Anstrengung überwinden konnte, aber die Hitze wurde immer mehr zu einem Problem; sie hatte die Schmerzgrenze erreicht und stieg weiter. Trotzdem arbeitete er sich verbissen auf dem Bauch kriechend weiter vor, schob sich auf den mittleren der drei Metallblöcke und schließlich auf den dritten und letzten. Die Stimmen der vier Söldner erklangen jetzt unmittelbar unter ihm.
Aber er hörte auch noch einen anderen Laut: das leise, abgehackte Schluchzen eines Kindes. Es kam aus dem Zwischenraum zwischen den Metallblöcken und der Rückwand des Kellers...
Sein Herz machte einen erschrockenen Sprung, als er sich weiter nach vorne schob und nach unten sah.
Er hatte recht gehabt. Rebecca und Eva befanden sich in dem kaum halbmeterbreiten Spalt, der zwischen den Maschinenabdeckungen und der Kellerwand blieb. Das Mädchen saß zusammengekauert in einer Ecke und schluchzte, aber dazwischen stieß es auch immer wieder leise, knurrende Laute aus, und seine Haltung wirkte eher aggressiv als verängstigt.
Rebecca lag auf dem Rücken und hatte offensichtlich das Bewußtsein verloren. Ihr Krankenhausnachthemd war zerrissen und auf der gesamten rechten Seite blutig; die Bißwunde über ihren Rippen mußte wieder aufgebrochen sein. Ihr Gesicht war geschwollen. Offensichtlich hatten die Kerle sie geschlagen, um sie ruhigzustellen,
Der Gedanke erfüllte Stefan mit einer kalten, entschlossenen Wut. Auch noch der allerletzte Rest von Furcht und Skrupeln verschwand. Jemand hatte seiner Familie weh getan, und dafür würde er ihm jetzt weh tun. So einfach war das.
Stefan kroch ein kleines Stück zurück, wandte sich nach rechts und schob sich Zentimeter für Zentimeter wieder nach vorne. Das Metall unter ihm war mittlerweile so heiß, daß er das Gefühl hatte, über eine glühende Herdplatte zu kriechen. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Trotzdem verbiß er sich jeden Laut und preßte sich im Gegenteil noch fester gegen das heiße Metall, während er sich vorsichtig Zentimeter für Zentimeter weiter nach vorne schob, bis er die Russen sehen konnte.
Beinahe wünschte er sich, es nicht getan zu haben.
Er blickte aus kaum zehn Zentimetern Höhenunterschied auf die vier Männer herab - und kaum nennenswert größerer Entfernung zu dem ihm am nächsten Stehenden. Der Mann -es war der mit der Maschinenpistole - wandte ihm den Rücken zu, aber die drei anderen sahen fast genau in seine Richtung. Wenn einer von ihnen den Blick auch nur um eine Wenigkeit hob...
Dann war er tot. Und? Seine Aussichten, lebend aus diesem Keller herauszukommen, waren sowieso gleich null. Die Frage war im Grunde nur noch, wie viele von den Kerlen er noch mitnehmen konnte.
Die realistische Antwort lautete: Keinen. Er hatte eine Waffe, er hatte den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite, und er befand sich in einer strategisch hervorragenden Position. Aber er war kein Killer. Hätten die vier Rebecca getötet, hätte er vermutlich keine Sekunde lang gezögert, sie einen nach dem anderen zu erschießen. Aber Rebecca lebte noch, und so konnte er nichts anderes tun, als zu ihr zurückzukehren und zu versuchen, sie irgendwie zu verteidigen. Auch wenn das vermutlich den sicheren Tod für sie beide bedeutete.
Gerade als er sich daranmachen wollte, wieder über die heiße Metallplatte zurückzukriechen, griff einer der Söldner in die Tasche, und Stefan bekam zumindest die Antwort auf die Frage, was die Kerle hier unten überhaupt taten:
Sie warteten auf einen Anruf.
Der Bursche zog ein zusammenklappbares Handy aus der Gesäßtasche, zog die Antenne mit den Zähnen heraus und drückte mehrmals und mit total übertriebener Kraft auf den Einschaltknopf. Sein schon vorher mißmutiger Gesichtsausdruck wurde noch finsterer.
Stefan schüttelte - zumindest in Gedanken - den Kopf. Die Kerle mochten vielleicht wissen, wie man einen Menschen mit der Bewegung eines kleinen Fingers umbrachte, aber von moderner Technik hatten sie offensichtlich keine Ahnung. Kein Handy der Welt konnte in diesem mit Stahl und Beton vollgestopften Labyrinth funktionieren. Wenn sie sich wirklich entschlossen hatten, hier unten zu warten, bis sie über das Telefon neue Anweisungen erhielten, konnten sie bis Weihnachten warten.
Etwas Vertrautes lag plötzlich in der Luft. Stefan blinzelte überrascht, war aber trotzdem geistesgegenwärtig genug, einen guten halben Meter zurückzukriechen, ehe er vorsichtig den Kopf hob und sich umsah.
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