Wolfsherz
aus, erhob sich mühsam in eine fast grotesk aussehende, hockende Haltung und watschelte die anderthalb Schritte zu Rebecca hin. Mit der linken Hand zog er die Pistole unter dem Gürtel hervor, legte sie entsichert neben sich auf den Boden und sah zum Ende des schmalen Ganges. Die Russen standen noch immer da, unterhielten sich oder warteten vielleicht auch darauf, daß sämtliche Gesetze der Physik außer Kraft gerieten und sich das Handy unter einer Million Tonnen Stahl meldete. Er konnte einen von ihnen sehen. Wieso hatten sie ihn noch nicht entdeckt? Niemand steht eine halbe Stunde reglos auf der Stelle, ohne einen Blick auf die beiden Menschen zu werfen, die er gerade entführt hat.
Dann wurde ihm klar, daß es auch keine halbe Stunde gewesen war. Ganz im Gegenteil: Seit er zu Rebecca und Eva heruntergesprungen war, war vielleicht eine halbe Minute vergangen; und kaum mehr als zwei, seit er in diesen Kellerraum gekommen war.
Zeit war etwas höchst Relatives, und das erfuhr er gerade am eigenen Leib.
Über diese rein akademische Erkenntnis hinaus begriff er allerdings auch noch etwas, und das war weitaus unangenehmer: Sein ganzes Abenteuer hatte bisher nicht besonders lange gedauert. Seit er den Aufzug oben in der fünften Etage betreten hatte, konnten kaum mehr als fünf, sechs Minuten vergangen sein. Selbst wenn die Schwester sofort die Polizei gerufen hatte, waren sie jetzt bestenfalls auf dem Weg hierher. Er konnte nicht darauf warten, daß Hilfe kam.
Vorsichtig streckte er die Hand aus, legte sie über Rebeccas Mund, damit sie keinen verräterischen Laut von sich gab, und schüttelte sie sacht.
Das Wunder geschah. Rebecca öffnete die Augen, und ihr Blick war wider Erwarten vollkommen klar. Sie war sich ihrer Lage - und damit wohl auch der Gefahr, in der sie sich befanden - vollkommen bewußt. Trotzdem warf er ihr einen langen, warnenden Blick zu, ehe er behutsam die Hand zurückzog und wieder nach der Waffe griff.
Rebecca drehte mit einem Ruck den Kopf zur Seite. Die rechte Hälfte ihres Gesichtes war gerötet. Das Metall, gegen das es gepreßt gewesen war, war auch hier heiß. Trotzdem gab sie nicht den mindesten Schmerzlaut von sich, sondern verlagerte im Gegenteil ihr Gewicht behutsam auf den linken Arm, um sich so leise wie möglich in die Höhe zu stemmen. Tapferes Mädchen.
Stefan richtete die Pistole auf das Stück des russischen Söldners, das er sehen konnte - Schultern, Hintern und kräftige Waden, deren Muskeln selbst durch den Stoff der groben Cordhosen hindurch zu erkennen waren -, und berührte unendlich sacht den Abzug. Er wußte einfach nicht, was er tun sollte. Er hatte eine gute Chance, den Kerl zu erwischen - vermutlich sogar einen zweiten, wenn er schnell und kompromißlos genug zuschlug -, aber er konnte es nicht.
Rebecca hob die Hand, berührte vorsichtig sein Handgelenk und drückte seinen Arm herunter. Nicht so weit, daß die Waffe nicht mehr auf den Russen zielte, aber weit genug, daß er die Bedeutung der Geste verstand. Verteidigen, ja. Angreifen, nein.
Die unbequeme Haltung, in der er dahockte, machte sich allmählich bemerkbar. Sein verletztes Bein pochte immer stärker. Noch ein paar Sekunden, und er würde einen Krampt bekommen und sich gar nicht mehr bewegen können. Wenn er etwas tun wollte, dann Jetzt.
Er stand auf, versuchte die Muskeln in seinen Waden zu bewegen, um sie ein wenig zu lockern, und sah mit einer Mischung aus ungläubigem Staunen und Entsetzen zu, wie der Russe einen halben Schritt zurücktrat und sich gleichzeitig zu ihnen herumdrehte.
Alles andere geschah praktisch von selbst; nicht etwa ohne Stefans Zutun, sondern beinahe schon gegen seinen Willen. Er konnte nicht sagen, wer im ersten Moment überraschter war - der Russe oder er.
Auf jeden Fall reagierte der ehemalige Söldner weitaus schneller.
Verblüffung hin oder her, er vollendete seine angefangene Drehung mit weitaus mehr Schwung, als er sie begonnen hatte und griff gleichzeitig nach unten, um die Pistole aus dem Gürtel zu ziehen, und Stefan machte einen Schritt nach vorne, nahm den Finger vom Abzug und stieß ihm den Pistolenlauf unter das linke Auge.
Ein trockenes Knacken ertönte. Stefan konnte nicht sagen, ob es das Jochbein des Russen oder sein Handgelenk war, das brach - dem pulsierenden Schmerz nach zu schließen, der bis in seine Schulter hinaufschoß, mußte es wohl letzteres sein - aber das Ergebnis war einigermaßen spektakulär.
Der Söldner ließ die Waffe, die er
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