Wolfsherz
tatsächlich bereits aus dem Gürtel gezogen hatte, fallen, griff sich mit beiden Händen an das Gesicht und führte auch diese Bewegung nicht zu Ende, sondern erstarrte plötzlich und kippte dann stocksteif zur Seite. Der Knall, mit dem er gegen die Aluminiumverkleidung prallte, war tatsächlich so laut, wie Stefan erwartet hatte; vielleicht sogar lauter.
Stefan machte einen zweiten Schritt, stieß den Russen mit Knie und Ellbogen vollends zu Boden und fand sich unversehens zwischen den drei anderen Söldnern. Alles geschah noch immer, ohne daß er den geringsten Einfluß darauf zu haben schien. Sie waren in Bewegung geraten und rissen ihn einfach mit sich. Er hatte die Lawine ausgelöst, aber er war nicht in der Lage, sie aufzuhalten.
Immerhin erfaßte er die Situation mit einem Blick und einer nie gekannten Schärfe. Der Mann mit dem verletzten Arm stand links neben ihm, kaum einen Meter entfernt. Die beiden anderen waren etwas weiter weg, und der mit der MPi kämpfte immer noch mit seinem Funktelefon - was ihn und den dritten Kerl allerdings nicht daran hinderte, sofort ihre Waffen zu heben und auf ihn anzulegen. Möglicherweise war er wie ein Gespenst aus dem Nichts zwischen ihnen aufgetaucht, aber sie hatten offensichtlich keine Hemmungen, auch auf Gespenster zu schießen.
Diesmal reagierte Stefan allerdings als erster. Ohne Plan, aber mit untrüglichem
Gespür für die Schwäche seines Gegners, wich er nach links aus, vollführte eine halbe Drehung und suchte den Schwung seiner eigenen Bewegung, um den Pistolenlauf ein zweites Mal als Keule zu benutzen. Diesmal ließ er ihn mit aller Gewalt auf den verletzten Arm des Russen niedersausen. Der Mann stieß einen schrillen, kreischenden Schrei aus und brach in die Knie, fiel aber nicht ganz, und Stefan raste weiter, visierte den Kerl mit der MPi an und begriff im gleichen Moment, daß seine Glückssträhne zu Ende war. Er war schnell, noch immer so schnell, daß er selbst nicht so recht begriff, wie er überhaupt dazu in der Lage war, all diese Dinge zu tun, aber der andere war nicht viel langsamer. Und er war ein professioneller Killer, während Stefan trotz allem bestenfalls ein talentierter Amateur war. Er hatte das Handy einfach fallen lassen und versuchte nun, seine antiquierte MPi mit beiden Händen in die Höhe zu bekommen. Ihr Lauf bohrte sich in Stefans Magen, und die Mündung von Stefans erbeuteter Pistole berührte im gleichen Sekundenbruchteil seine Stirn.
Die Zeit blieb stehen. Es war kein subjektives Gefühl, nichts, was ihm seine Angst vorgaukelte. Er konnte mit aller Deutlichkeit spüren, wie das Universum für einen winzigen Moment einfach anhielt; wie eine große, machtvolle Maschine, die für einen zeitlosen Augenblick stockte, ehe sich ihre Zahnräder weiterdrehten und das Hindernis zermalmten, das zwischen sie geraten war.
Dann war es vorbei. Die große Maschine drehte sich weiter und holte die verlorene Zeit mit einem Ruck wieder auf, und Stefan registrierte mit einem Gefühl von sonderbar distanziertem Entsetzen, daß sein Finger nun wieder auf dem Abzug der Waffe lag; so wie der des Söldners zweifellos auf dem seiner MPi. Er fragte sich, ob ihm noch Zeit bleiben würde, abzudrücken, wenn der Russe schoß; und umgekehrt.
Aber der Söldner drückte nicht ab. Es war ein klassisches Patt. Vielleicht spielten sich hinter der Stirn des Russen die gleichen Gedankengänge ab wie hinter der Stefans. Vielleicht spürte er auch einfach, daß Stefan nicht schießen würde.
Aber würde er das wirklich nicht?
Er sah aus den Augenwinkeln, daß der vierte Russe seine Pistole gehoben hatte und aus kaum dreißig Zentimeter Abstand auf sein Gesicht zielte, ließ den Blick des Kerles vor sich aber nicht los.
»Scheiß-Situation, nicht?« fragte er. Seine Stimme klang fremd. Eindeutig hysterisch, aber trotzdem viel zu gelassen, um in einer Situation wie dieser wirklich zu ihm zu gehören. »Verstehst du, was ich sage?«
Er bekam keine Antwort, aber das mußte nichts bedeuten. Vielleicht zog es der andere einfach nur vor, zu schweigen. Reden bedeutete in einer Lage wie dieser vermutlich Schwäche.
Er sprach trotzdem weiter. »Wir können uns jetzt gegenseitig umbringen oder ausprobieren, wer schneller ist... oder wir einigen uns auf ein Unentschieden: Ihr laßt uns gehen, und alle bleiben am Leben.«
Das war lächerlich. Der Satz war nicht nur viel zu kompliziert, um von jemanden verstanden zu werden, der allerhöchstens gebrochen Deutsch sprach,
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