Wolfsherz
mußte, daß er keine hatte. Sein Hemd war über dem linken Arm zerrissen und dunkel von Blut. Von Rebecca und dem Kind war nichts zu sehen.
Stefans Gedanken rasten. Es gab keinen Zweifel, daß er den Männern gegenüberstand, die für das Gemetzel oben in der Klinik verantwortlich waren. Und es gab auch keinen Zweifel an dem Grund für dieses Gemetzel, denn er erkannte mindestens einen der Männer wieder.
Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er einen weißen Tarnanzug und eine wesentlich modernere Waffe getragen, und wie es aussah, hatte er sich seither auch nicht mehr regelmäßig rasiert; aber Stefan erkannte ihn trotzdem sofort und jenseits aller Zweifel. Die vier gehörten zu Barkows Söldnertruppe. Sie waren gekommen, um Rebecca und ihm die Rechnung für das Interview mit ihrem Boß zu präsentieren.
Vielleicht hatte Rebecca sie bereits bezahlt...
Stefan dachte diesen Gedanken fast ohne Emotionen. Und mit der gleichen, fast schon erschreckenden Kälte begriff er auch, daß er diese vier Männer töten würde, wenn dem wirklich so war. Vermutlich würde er es nicht schaffen, sondern bei dem Versuch selbst ums Leben kommen, aber das spielte keine Rolle. Er würde zuerst den Mann mit der Maschinenpistole erschießen, dann - vielleicht - noch einen der anderen, bevor die beiden Überlebenden ihn erledigten. Es spielte keine Rolle. Das Wesen, in das er sich verwandelt hatte, folgte den Regeln alttestamentarischer Gerechtigkeit.
Aber noch war es nicht soweit. Daß er Rebecca nicht sah, bedeutete nicht zwangsläufig, daß sie tot sein mußte. Er konnte den Bereich hinter den Aluminiumblöcken nur zu einem kleinen Teil überblicken. Er mußte einfach näher heran, auch wenn die Gefahr, entdeckt zu werden, damit um ein Vielfaches größer wurde.
Stefan zog sich wieder ein Stückweit hinter seine Deckung zurück und warf einen raschen, aber sehr aufmerksamen Blick in die Runde. Das Ergebnis stimmte ihn nicht gerade optimistisch: Hinter den drei Metallblöcken erhob sich eine nahezu massive Wand aus zum Teil unterarmstarken Rohrleitungen und Kabeln, die nahezu bis zur Decke reichte. Auf der anderen Seite sah es etwas besser aus, aber er dachte nicht einmal darüber nach - es war unmöglich, dorthin zu gelangen, ohne von den Söldnern gesehen zu werden.
Er überlegte angestrengt. Er konnte nicht hierbleiben und darauf warten, dass sich das Problem schon irgendwie von selbst regelte. Er konnte die Anspannung der vier Männer spüren. Wenn er darauf wartete, daß sie zu ihm kamen, hatte er schon verloren.
Stefan sah nach oben. Die Maschinenblöcke waren knapp zwei Meter hoch, und ungefähr so leicht zu ersteigen wie senkrecht aufgestellte Spiegel. Außerdem war er ziemlich sicher, daß diese Aktion nicht lautlos verlaufen würde.
Aber es war der einzige Weg. Das Gespräch der Russen war in den letzten Sekunden lauter geworden, und er war jetzt ziemlich sicher, daß es sich nicht mehr nur nach einem Streit anhörte. Seine Zeit lief ab. Wenn er etwas tun wollte, dann jetzt.
Stefan sicherte die Pistole, schob sie unter den Gürtel in seinem Rücken und hob die Arme. Er erreichte die Oberkante des Aluminiumblocks ohne Mühe, sammelte all seine Kraft und zog sich mit zusammengebissenen Zähnen in die Höhe. Im allerersten Moment fiel ihm dieser Klimmzug viel leichter, als er erwartet hatte; aber wirklich nur im
allerersten
Moment. Das Metall war warm, und es vibrierte so stark, daß seine Zähne zu schmerzen begannen. Außerdem konnte er sich nicht mit einem Schwung hinaufziehen, sondern mußte den Oberkörper nach vorne beugen, noch bevor er die Arme ganz durchdrücken konnte: Zwischen der Oberseite des Blockes und der Kellerdecke blieb nur ein knapper halber Meter.
Irgendwie schaffte er es; allerdings um den Preis, mit hämmerndem Puls und vollkommen außer Atem ungefähr eine Minute lang dazuliegen, ohne sich rühren zu können. Das Metall unter ihm summte. Die Stimmen der Russen verschwammen in seinem Bewußtsein zu einem einzigen bedrohlichen Murmeln, und er spürte jetzt keine Wärme mehr, sondern Hitze.
Mühsam hob er den Kopf, atmete tief ein und begriff erst danach, daß schon dieses Geräusch verräterisch sein konnte. Automatisch hielt er den Atem an und lauschte, registrierte aber keine Veränderung im Rhythmus der Stimmen. Sehr vorsichtig griff er hinter sich, zog die Waffe und begann dann, sich auf dem heißen Metall nach vorne zu schieben.
Die drei übergroßen Aluminiumkisten standen so nahe
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