Wolfsherz
seine vierte Kugel, aber was nutzte es? Er hatte keine Ahnung, wie viele Patronen im Magazin der Waffe waren, stolperte rückwärts gehend hinter Rebecca her und öffnete dabei sämtliche Türen, an denen er vorbeikam. Wahrscheinlich war es nutzlos, aber vielleicht verschaffte es ihnen einige weitere wertvolle Sekunden.
Rebecca lehnte zitternd an der Wand neben der Tür, als er ihr folgte. Sie war totenbleich, hielt Eva aber noch immer auf den Armen. Ihr Atem ging schnell, stoßweise und unregelmäßig.
Stefan zog die Tür hinter sich zu, registrierte ohne besondere Überraschung, daß auch sie kein Schloß hatte - vermutlich gab es in diesem ganzen verdammten Keller kein einziges Schloß, weil es irgendeine bescheuerte Sicherheitsvorschrift verbot -, und sah sich schwer atmend um. Sie befanden sich in einem niedrigen Gang, der so schmal war, daß er nur gebückt darin stehen konnte. Auf der rechten Seite zogen sich die allgegenwärtigen Kabelstränge und Rohrleitungen entlang, die andere bestand aus nacktem, mit Schimmelflecken und Feuchtigkeit bedecktem Beton. Es gab keine weitere Tür, sondern nur eine schmale Eisenleiter, die zwanzig Meter vor ihnen in die Höhe führte. Im Klartext: Sie saßen in der Falle.
Stefan verschwendete eine weitere Sekunde darauf, sich nach etwas umzusehen, womit er die Tür blockieren konnte -natürlich vergebens -, dann deutete er mit einem grimmigen Nicken auf die Leiter am Ende des Stollens. Rebecca antwortete auf die gleiche Weise, taumelte los und hätte Eva um ein Haar fallen gelassen. Als er diesmal die Arme ausstreckte, um ihr das Kind abzunehmen, sträubte sie sich nicht mehr.
Die Leiter rührte senkrecht am Ende des Stollens in die Höhe und endete vor einem rostigen Gitter. Der Raum darüber war vollkommen dunkel, und das blasse Notlicht hier drinnen reichte nicht aus, um mehr als Schatten zu erkennen. Er konnte nur beten, daß das Gitter nicht stolzer Besitzer des einzigen Schlosses in diesem Teil der Klinik war.
»Schaffst du es?« fragte er.
Rebecca nickte. Schon diese Bewegung war eine Lüge. Trotzdem schüttelte sie den Kopf und machte eine schwache, abwehrende Geste, als er als erster nach den Sprossen greifen wollte, und sie hatte auch diesmal recht. Wenn sie entdeckt wurden, dann konnte er ihr vielleicht Rückendeckung geben; sie ihm kaum.
Langsam, aber mit fast mechanischer Gleichmäßigkeit, stieg Rebecca die Leiter hinauf. Stefan sah ihr voller Ungeduld dabei zu, dann drehte er sich um und warf einen nervösen Blick zurück zur Tür. Er glaubte Geräusche draußen auf dem Gang zu hören. Die Verfolger kamen näher. Wie lange brauchte Rebecca, um diese verdammte Leiter hochzuklettern?
Eva begann auf seinem Arm unruhig zu werden. Stefan verlagerte ihr Gewicht, so gut es ging, und sah wieder zu Rebecca hoch. Sie hatte das Ende der Leiter, löste die linke Hand von der Sprosse und rüttelte an dem Gitter über ihrem Kopf.
»Ist es verschlossen?« fragte Stefan.
»Ich weiß nicht«, antwortete Rebecca. »Es klemmt. Hilf
Er war jetzt sicher, Geräusche draußen auf dem Gang zu hören. Schritte. Vielleicht Türenschlagen. Sie hatten nur noch Sekunden..
»Stefan!«
Er versuchte, Eva so auf seinem Arm zu plazieren, daß er wenigstens eine Hand frei hatte, um nach den Leitersprossen zu greifen, und als wüßte das Mädchen genau, was von ihm erwartet wurde, klammerte es sich ganz von selbst mit beiden Armen um seinen Hals. Gleichzeitig schlang es die Beine um seine Hüften, soweit es ihm möglich war. Er hatte jetzt nicht nur eine, sondern ungefähr anderthalb Hände frei, um die Leiter hinaufzuklettern. Dieses Kind war mehr als erstaunlich.
Stefan griff nach oben, so weit er konnte, setzte den Fuß auf die unterste Sprosse und begann ungeschickt, aber trotzdem sehr schnell, in die Höhe zu steigen. Auf den ersten anderthalb Metern ging es leichter, als er erwartet hatte, aber an Rebecca vorbeizukommen erwies sich als Problem. Die Leiter war sehr schmal, und Eva behinderte ihn zusätzlich,
Irgendwie schaffte er es trotzdem. Neben Rebecca angekommen, stemmte er sich mit einem Fuß gegen die Wand, griff nach oben und rüttelte an den Gitterstäben. Sie bewegten sich. Irgend etwas kreischte, und er hatte das Gefühl eines Widerstandes, der nachgeben wollte, es aber nicht tat.
»Das hat keinen Zweck«, keuchte Rebecca. »Wir müssen zurück.«
Das konnten sie nicht. Stefan konnte jetzt ganz deutlich hören, wie draußen auf dem Gang eine Tür aufgerissen wurde.
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