Wolfsherz
Lungen.
In dem schwachen Licht, das aus dem Leiterschacht strömte, konnte er eine scheinbar riesenhafte, verzerrte Gestalt erkennen, die über ihm emporragte.
Es war nicht der Mann, den er zu Boden geschleudert hatte, sondern der zweite Söldner, der seinem Kameraden nach oben gefolgt war. Sein Gesicht sah allerdings fast noch schlimmer aus. Es war der, den Stefan im Keller mit seiner Pistole niedergeschlagen hatte.
Stefan versucht sich loszureißen, bekam immerhin einen Arm frei und schlug nach dem Söldner. Der Russe machte sich nicht einmal die Mühe, dem Schlag auszuweichen, hieb aber gleichzeitig zurück, und das Ergebnis war katastrophal. Stefans Kopf wurde mit brutaler Wucht in den Nacken geschleudert. Vor seinen Augen tanzten gelbe und rote Sterne, und sein Mund füllte sich mit Blut. Er wäre zusammengebrochen, hätte der Söldner ihn nicht weiter festgehalten. Wie durch einen Nebel aus Blut und immer massiger werdender Schwärze sah er, wie der Russe die Hand zu einem weiteren Schlag hob. Diesmal war sie nicht zur Faust geballt. Seine Finger waren zu einer Art Kralle geformt; wahrscheinlich, dachte Stefan, irgendeine Art Karate-Schlag, der der ganzen Sache ein Ende bereiten würde.
Etwas Riesiges, Verzerrtes wuchs plötzlich hinter dem Schatten des Russen empor, riß ihn herum und schleuderte ihn in die Dunkelheit, und im gleichen Moment war Stefan frei und stolperte zurück. Ein Schrei und die Geräusche eines heftigen Kampfes drangen an sein Ohr, aber er achtete nicht darauf, und er gestatte sich ganz und gar nicht, auch nur darüber nachzudenken, welche Kreatur den Russen gepackt und davongezerrt hatte.
Statt dessen fuhr er herum und schrie Rebeccas Namen, so laut er konnte. Er bekam keine Antwort, aber allein das Echo seines Schreies verriet ihm, daß sie sich in einem sehr kleinen Raum befinden mußten.
Während die Kampfgeräusche hinter ihm anhielten, ließ er sich auf Hände und Knie herabsinken und tastete blind über den Boden. Schon beim zweiten oder dritten Versuch stießen seine Finger auf Widerstand. Es war Rebecca. Sie reagierte nicht auf seine Rufe, aber als er sie mit einem Ruck in die Höhe zerrte, stöhnte sie leise, und dann kam ein Laut über ihre Lippen, der sich wie Eva anhörte.
Stefan legte sich ihren Arm über die Schulter, keuchte vor Schmerz, als sein verletztes Bein gegen das zusätzliche Gewicht protestierte, und streckte tastend den linken Arm aus.
Schon nach wenigen Schritten fühlte er rauhen, unverputzten Zement. Wahllos wandte er sich nach links, tastete sich an der Wand entlang und stieß nach drei oder vier Metern erneut auf ein Hindernis: Metall. Kein Türrahmen, sondern ein Schrank oder irgendeine andere verdammte Barriere.
»Eva«, stöhnte Rebecca. »Wo ist... Eva.« Es war unglaublich, aber sie dachte selbst in diesem Moment nur an das Kind, nicht an sich.
»Ich hole sie«, antwortete Stefan. »Aber zuerst bringe ich dich hier heraus, keine Angst.« Hinter ihm erklang ein gellender Schrei, gefolgt von einem hellen, splitternden Laut, der Stefan bis ins Mark zu dringen schien, und dann einem weiteren, fast unmenschlichen Kreischen. Dann fiel ein Schuß. Der Knall wurde von den Betonwänden mehrmals reflektiert und schien dabei immer lauter zu werden, und das Mündungsfeuer tauchte den Raum für den Bruchteil einer Sekunde in orangerotes, unheimliches Licht.
Was Stefan in diesem orangefarbenem, stroboskopischem Aufblitzen sah, konnte nichts anderes als eine Vision sein; ein aus Furcht und Hysterie geborener Alptraum, der für einen einzigen, höllischen Moment Gestalt angenommen hatte.
Einer der Söldner lag am Boden und rührte sich nicht mehr, aber seine Gestalt schien seltsam unvollständig zu sein, als wären ihm ein oder mehrere Gliedmaßen abhanden gekommen. Der zweite Mann kämpfte mit einer grotesken, riesenhaft verzerrten Kreatur, einem... Ding, das nicht mehr ganz Tier, aber noch längst kein Mensch zu sein schien, etwas Gewaltigem, Verkrüppelt-Haarigem aus Zähnen, Klauen und Gestalt gewordener Wut.
Stefan sah dies alles nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber das machte es nur schlimmer, denn es ließ seiner Phantasie sehr viel mehr Spielraum, als ihm lieb war.
Er sah in diesem Bruchteil einer Sekunde aber auch noch etwas: Die Kammer, in der sie sich befanden, war tatsächlich sehr klein, und sie waren nur noch zwei Schritte von der Tür entfernt. Er stolperte, wieder blind, weiter, drohte für einen Moment endgültig in Panik zu
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