Wolfsherz
Trotzdem grub er die Fingernägel der Rechten nur noch tiefer in das Gesicht des Kerls, und er mußte wohl irgendeinen empfindlichen Teil erwischt haben, denn plötzlich erscholl ein schriller Schrei, und in der nächsten Sekunde war der Mann einfach verschwunden. Aus der Tiefe drangen ein dumpfes Pol' tem und ein weiterer, gedämpfter Schrei herauf.
Stefan sah nicht einmal hin, sondern griff mit beiden Händen nach Rebecca, umklammerte ihre Handgelenke und versuchte, sie zu sich in die Höhe zu ziehen. Er hätte es nicht geschafft, wenn sie ihm nicht geholfen hätte, und selbst so gelang es ihm nur, sie zentimeterweise zu sich heraufzuziehen.
Etwas kam näher. Etwas zugleich Fremdes wie auf entsetzliche Weise Vertrautes. Er hörte nichts, er sah nichts, aber das Gefühl - nein, die
Gewißheit -
sprang ihn mit solcher Vehemenz an, daß er mitten in der Bewegung gefror und eine Sekunde lang aus aufgerissenen Augen in die vollkommene Dunkelheit ringsum starrte. Er dachte wieder an die Hand -aber war es wirklich eine Hand gewesen? -, die plötzlich nach dem Gitter gegriffen und es ohne die geringste Mühe weggerissen hatte. Dann stieß Rebecca ein erschrockenes Keuchen aus, und Stefan begriff, daß er drauf und dran war, sie fallen zu lassen. Mit einem erschrockenem Ruck zog er sie vollends zu sich herauf.
Sie kam nicht allein. Ein Mann mit blutüberströmten Gesicht klammerte sich an ihre Beine, und noch während Stefan ihn fassungslos anstarrte, ließ er los, klammerte sich mit einer Hand am Rande des Leiterschachtes fest und griff mit der anderen nach Stefans Hals.
Stefan reagierte ganz instinktiv. Er prallte zurück, schleuderte Rebecca einfach zur Seite und versuchte gleichzeitig, den zupackenden Fingern des Russen irgendwie zu entkommen.
Beinahe hätte er es sogar geschafft. Die Hand verfehlte seine Kehle, rutschte an seiner Seite herab und krallte sich in seinen Hemdsärmel, gerade als er glaubte, ihr entwischt zu sein. Stefan zerrte und wand sich mit verzweifelter Bewegung zur Seite, zog die Knie an den Körper und stieß dem Angreifer die Füße vor die Brust. Aus der ungünstigen Position heraus, in der er sich befand, konnte er nicht sehr viel Kraft aufbringen; er glaubte nicht, daß er den Burschen verletzte, oder ihm auch nur ernstlich weh tat, aber es reichte immerhin, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er ließ Stefans Hand los, ruderte einen Moment hilflos mit den Armen und kippte schließlich nach hinten. Er tat Stefan nicht den Gefallen, die Leiter hinunterzufallen, sondern verschwand irgendwo in der Dunkelheit jenseits der rechteckigen Öffnung.
Hastig sprang Stefan auf, tastete mit den Händen in die Richtung, in der er Rebecca vermutete, und rief ihren Namen. Er bekam keine Antwort, aber nach einem Moment hörte er ein leises Stöhnen - und dann einen Laut, der ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließ: ein tiefes drohendes Knurren; ein Geräusch, das an gefletschte Zähne und schaumigen Geifer denken ließ, an Augen voller Mordlust und rasiermesserscharfe Fänge und Kiefer, die kräftig genug waren, einen menschlichen Oberschenkel wie einen trockenen Ast zu zerbrechen. Etwas kam näher. Etwas, das sich nicht auf menschlichen Füßen bewegte, sondern auf tappenden, haarigen Pfoten und -
Der Schmerz explodierte so warnungslos in Stefans Nieren, daß er im allerersten Moment kaum zu begreifen schien, was geschah; geschweige denn, daß er es war, dem auf so grausame Weise weh getan wurde. Rotglühende Pein breitete sich sternförmig von seiner linken Niere in seinen ganzen Körper aus, so schlimm, daß er nicht einmal schreien konnte. Seine Lungen, selbst seine Stimmbänder versagten ihm den Dienst. Alle Kraft wich aus seinen Beinen. Er sank auf die Knie, versuchte die Arme auszustrecken, um den Sturz abzufangen, und wurde endgültig nach vorne geschleudert, als ein zweiter, womöglich noch härterer Schlag die Stelle zwischen seinen Schulterblättern traf.
Mit furchtbarer Wucht fiel er auf das Gesicht. Seine Nase und seine Unterlippe begannen zu bluten, und für einen kurzen Moment war er dicht davor, das Bewußtsein zu verlieren. Doch dann griff eine furchtbar starke Hand nach seinem Nacken, schloß sich wie ein Schraubstock daran und riß ihn mit so brutaler Gewalt auf die Füße, daß ihn allein der Schmerz wieder ins Bewußtsein zurückzerrte. Er wurde herumgewirbelt, dann traf ein weiterer Faustschlag seinen Magen und trieb ihm auch noch das letzte bißchen Luft aus den
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