Wolfsherz
wovor, aber das Gefühl war verdammt real.
Stefan beschleunigte seine Schritte, holte Rebecca ein, als sie die Tür erreicht hatte, nahm ihr mit einer Hand die Reisetasche ab und hielt sie mit der anderen noch einmal zurück.
»Bist du sicher?« fragte er. Mehr war nicht nötig. Das war einer der wenigen Vorteile, die die unheimliche Veränderung mit sich brachte: Viele Worte - wenn nicht alle - waren überflüssig geworden. Sie verstand auch so, was er meinte.
Rebecca antwortete auch nicht, aber Stefan spürte ihre Antwort: Nein, sie war nicht sicher, daß sie dort hinausgehen sollten. Ganz und gar nicht. Sie spürte die Gefahr, die dort draußen auf sie lauerte, ebenso deutlich wie er. Trotzdem schob sie die Tür mit einer entschlossenen Bewegung auf und trat an ihm vorbei - oder wollte es jedenfalls.
Roberts Security-Mann kam ihr zuvor. Er vertrat ihr den Weg, machte eine abwehrende Geste mit der Hand, in der er die Waffe hielt, und verschwand mit schnellen Schritten in der Dunkelheit. Rebecca sagte nichts, aber Stefan konnte sehen, wie sie ganz sacht den Kopf schüttelte. Wenn ihre Verwandlung schon so weit fortgeschritten war wie seine, dann konnte sie den Mann wahrscheinlich so deutlich wahrnehmen, als bewege er sich im hellen Sonnenlicht, und schlüge dabei noch ein Paar Schellen. Natürlich war das nicht sehr fair. Der Mann war gut. Für jeden normalen Beobachter mußte er so gut wie unsichtbar sein und praktisch lautlos. Das Schlimme war nur, daß Stefan nicht sicher war, ob sie es wirklich mit einem
normalen
Beobachter zu tun hatten.
Nach einigen Augenblicken kam der Mann zurück und nickte knapp. »Alles in Ordnung. Wo ist die Lücke im Zaun?«
Rebecca deutete nach links. Stefan erkannte in dieser Richtung nur Schatten. Robert hatte die Außenbeleuchtung nicht wieder eingeschaltet, und der Himmel hatte sich im Verlauf der letzten anderthalb Stunden zugezogen. Selbst für seine gesteigerten Sinne herrschte dort draußen fast vollkommene Dunkelheit.
»Gehen Sie voraus«, sagte er.
Der Mann gehorchte, und Rebecca und Stefan traten nebeneinander in die vollkommene Dunkelheit.
Nein, das war nicht richtig.
Sie traten
ins Mondlicht hinein.
Das war ein Unterschied. Die Wolkendecke über der Stadt war komplett geschlossen. Es roch nach Regen, der in spätestens fünf Minuten losbrechen würde. Die einzige sichtbare Helligkeit war ein wenig
Streulicht, das sich irgendwie von der anderen Seite des Hauses herübergemogelt hatte; vermutlich hatte Robert die Außenbeleuchtung dort nun doch eingeschaltet, damit die Dunkelheit auf der anderen Seite noch totaler wurde.
Trotzdem, etwas, das von der bleichen Silberscheibe dort oben ausging, durchdrang die Wolkendecke und hüllte sie in eine Aura neuer Kraft und reinen, kompromißlosen Überlebenswillens, als hätten sie nicht nur einen Schritt aus dem Haus, sondern zugleich hinein in eine andere Welt getan, die nach vollkommen anderen und zum größten Teil noch immer unverständlichen und erschreckenden Regeln funktionierte.
Plötzlich konnte er doch sehen. Die Dunkelheit blieb absolut, aber er konnte die Bäume und Sträucher vor sich spüren, so deutlich, als wären sie etwas Lebendiges, das elektromagnetische Signale auf einer unhörbaren tiefen Frequenz ausstrahlte. Auch die Bereiche dazwischen waren nicht leer: Er konnte das Gras spüren, das feuchte Laub, das der letzte Regen von den Asten gewaschen hatte, und eine wahre Sinfonie von
Leben,
das sich dazwischen tummelte: Mäuse, Ameisen, Schnecken und Spinnen, etwas, das er nicht ganz identifizieren konnte, aber dicht an der Grenze zu lohnender Beute war - die Bewohner der geheimen Welt, die verborgen vor den menschlichen Wahrnehmungen existierte. Keine Jäger. Aber sie waren da. Jemand - etwas - beobachtete sie.
Rebecca gab einen sonderbaren Laut von sich; fast ein Stöhnen, aber nicht ganz. Vermutlich erlebte sie das gleiche wie er, nur daß es sie vollkommen unvorbereitet traf. Er sah, daß sie leicht schwankte, als hätte sie ein plötzlicher Windstoß getroffen. Aber sie fing sich sofort wieder. Mit einer Bewegung, die erstaunlich routiniert wirkte, rückte sie Eva in ihrer linken Armbeuge in eine bequemere Position und ging dann mit schnellen Schritten in die Richtung, in die sie gerade gedeutet hatte.
Während Stefan ihr folgte, warf er einen Blick über die Schulter zurück. Er konnte die Garage und einen Teil der Auffahrt jetzt deutlich überblicken. Robert hatte
alle
Lampen dort vorne
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