Wolfsherz
Höhe zu kommen.
Stefan verschwendete keine Energie mehr darauf, noch einmal nach dem Wolf zu treten. Auf diese Weise konnte er dem Tier
weh
tun, es aber nicht wirklich verletzen. Statt dessen beugte er sich blitzschnell vor, versuchte irgendwie, den schnappenden Kiefern zu entkommen und spürte einen brennenden Schmerz, als die Zähne des Wolfs wie kleine, stumpfe Messer über seinen Unterarm fuhren. Er ignorierte ihn, fiel vor dem Wolf auf ein Knie herab und grub beide Hände in das Fell unter seinem Kopf. Mit einer verzweifelten Anstrengung stemmte er sich in die Höhe und bog gleichzeitig den Kopf so weit zurück, wie er nur konnte, um den tödlichen Fängen zu entgehen.
Für eine endlose halbe Sekunde standen sie wie in einem grotesken Tanz da, Stefan weit nach hinten gebeugt und beide Hände in das Fell des Tieres gekrallt, der Wolf, hoch aufgerichtet auf den Hinterläufen fast so groß wie er und winselnd vor Wut und Überraschung, und für die gleiche, schier endlose Zeitspanne war Stefan klar, daß er einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte: Für die lange Schnauze des Wolfs war das winzige Stück, das er den Kopf zurückgebogen hatte, kein Hindernis. Er hatte seine Kehle nicht aus der Reichweite des Tieres gebracht, sondern bot sie ihm regelrecht dar.
Aber aus irgendeinem Grund verzichtete der Wolf darauf, die Einladung anzunehmen. Stefan hingegen erfüllte das Entsetzen noch einmal mit zusätzlicher Kraft: Er versetzte dem Tier einen verzweifelten Stoß, der es ungeschickt auf den Hinterläufen taumelnd einen halben Meter zurückstolpern ließ - und über die Kante des Swimmingpools. Aus dem wütenden Geifern des Wolfs wurde ein erschrockenes Quietschen, dem einen Sekundenbruchteil später ein harter Aufprall folgte.
Stefan blieb jedoch keine Zeit, sich über diesen Sieg zu freuen. Er fuhr herum und sah, daß Rebecca mittlerweile wieder auf die Füße gekommen war, aber von einem zweiten Wolf bedrängt wurde, einem gewaltigen, pechschwarzen Tier, beinahe noch größer als der, gegen den er selbst gerade gekämpft hatte.
Er sah einen Schatten aus dem Augenwinkel, riß schützend die Arme in die Höhe und spürte noch während der Bewegung, daß sie zu spät kam. Der Wolf prallte mit voller Wucht gegen ihn, riß ihn nach hinten und fetzte noch im Fallen einen Maulvoll Fleisch aus seinem Oberarm. Stefan schrie vor Schmerz, kippte nach hinten und hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Der Himmel vollführte einen blitzartigen halben Salto über ihm, und wo der Boden sein sollte, war plötzlich eine schnurgerade Kante, die rasend schnell über ihm wegsackte.
Obwohl es vollkommen sinnlos war, streckte er die Hände danach aus. Er bekam sie sogar zu fassen, wenn auch mit dem einzigen Ergebnis, sich drei oder vier Fingernägel einzureißen. Der Schmerz war schlimmer als der in seinem Arm. Stefan brüllte vor Qual, schlug zwei Meter tiefer auf hartem Beton auf und verlor beinahe das Bewußtsein.
Aber eben nur beinahe. Irgend etwas nahm seinem Sturz die allerschlimmste Wucht. Seine Beine explodierten in einem Feuerwerk von Schmerz, und vor seinen geschlossenen Augen loderte ein noch grelleres Feuerwerk vielfarbener, greller Sterne. Er hätte alles darum gegeben, tatsächlich das Bewußtsein zu verlieren, aber diese Gnade wurde ihm nicht zuteil.
Statt dessen hörte er Rebecca schreien.
Der Laut drang wie von weit, unendlich weit her an sein Bewußtsein, im ersten Moment fast bedeutungslos, und trotzdem vielleicht das einzige, was ihn
wirklich
vor der Ohnmacht bewahrte - die wahrscheinlich das Ende bedeutet hätte.
Stöhnend wälzte er sich auf den Rücken und versuchte die Augen zu öffnen. Im ersten Moment gelang es ihm nicht. Er spürte, daß er auf etwas Weichem lag, etwas Warmem und
Blutendem;
vielleicht der Wolf. Vielleicht hatte er dem verdammten Mistvieh endgültig das Genick gebrochen.
Rebecca schrie wieder. In dem Laut war kein Schmerz, aber ein abgrundtiefes Entsetzen, das schlimmer war, als jede körperlich Qual es je sein konnte. Er versuchte noch einmal, die Augen zu öffnen, schaffte es diesmal und wurde mit einem Anblick belohnt, der ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließ.
Rebecca stand am Rande des Swimming-pools, zwei Meter über ihm und doch unendlich weit entfernt. Der schwarze Wolf befand sich zwei oder drei Schritte neben ihr; ein zweites, fast ebenso gewaltiges Tier stand auf der anderen Seite. Keines der beiden Ungeheuer gab auch nur einen Laut von
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