Wolfsherz
dutzendmal töten können. Aber ihr würdet niemals einem Mitglied der Sippe etwas antun, nicht wahr?«
Irgendwo über ihnen war ein Geräusch. Nur ein winziger Laut, das Brechen eines Zweiges, vielleicht nur das Rascheln von nassem Laub - aber es war ein Laut, der nicht in die natürliche Geräuschkulisse des Gartens paßte. Seine Wolfsinstinkte erwachten schlagartig, Sonja fuhr mit einem Ruck herum und halb in die Höhe, und die beiden Wölfe reagierten mit einer Schnelligkeit, die alles übertraf, was Stefan jemals bei einem lebenden Wesen gesehen hatte.
Der Schatten, der plötzlich auf der anderen Seite des Pools erschien, war trotzdem schneller.
Der erste Schuß fiel, noch bevor Sonja ganz auf die Füße gekommen war. Die Kugel traf sie dicht unterhalb der rechten Brust, schmetterte sie wie ein Faustschlag gegen die Wand und riß sie gleichzeitig herum. Sie schrie, schlug beide Hände vor die Brust und brach halb über Rebecca und dem Kind zusammen.
Noch in das Geräusch ihres Sturzes mischte sich ein zweiter peitschender Knall. Einer der beiden Wölfe wurde von den Füßen gerissen und überschlug sich zwei-, dreimal im Schlamm, ehe er jaulend liegenblieb, der dritte hetzte mit Riesensätzen auf die Gestalt zu, die am Schwimmbeckenrand erschienen war. Zwei Meter vor ihr stieß er sich mit einem gewaltigen Satz ab. Sein Körper schien sich in einen Schatten zu verwandeln, der auf den Mann zujagte wie ein lebendes Geschoß.
Die Gestalt oben am Beckenrand spreizte die Beine, ergriff ihre Waffe mit beiden Händen und visierte den Wolf mit unerschütterlicher Ruhe an. Ein Schuß fiel. Der Wolf wurde kaum einen Meter vor seinem Opfer zurückgeschleudert und stürzte leblos in das Becken herab. Zwischen dem ersten und dem dritten Schuß war nicht sehr viel mehr als eine Sekunde vergangen.
Erst jetzt erkannte Stefan den Mann, der so plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war. Es war Whites hellhaariger Schatten. Der Bursche aus dem Krankenhaus.
»Verdammt, worauf warten Sie?« schrie er. »Daß sie wieder aufstehen?«
Das wirkte. Weder Sonja, noch die beiden Wölfe waren tödlich getroffen. Er war nicht einmal sicher, ob das überhaupt möglich war. Und er hatte ganz und gar keine Lust, herauszufinden, wie lange sie brauchten, um sich von den Schußverletzungen zu erholen.
Abrupt fuhr er zu Rebecca herum. Sie versuchte vergeblich, sich unter Sonja hervorzuarbeiten; ein Vorhaben, das fast unmöglich schien, weil sie immer noch beide Arme brauchte, um Eva zu halten. Stefan ergriff das reglose Wolfsmädchen an den Schultern und zerrte es von Rebecca herunter. Es war ein unheimliches, fast schon ekelerregendes Gefühl. Irgend etwas geschah mit Sonjas Körper. Abgesehen von der furchtbaren Wunde, welche die Kugel beim Austritt in ihren Körper gerissen hatte, schien er vollkommen unverändert. Aber er fühlte
sich falsch
an. Die unheimliche Metamorphose hatte bereits begonnen. Er würde nicht hierbleiben, um ihr Ende abzuwarten.
Fast schon brutal riß er Rebecca in die Höhe, wirbelte sie herum und stieß sie einfach vor sich her. Die Treppe war annähernd zwanzig Meter entfernt; eine schiere Ewigkeit. Auf halbem Wege kamen sie an dem niedergeschossenen Wolf vorbei. Er bewegte sich bereits wieder. Seine Flanke war eine einzige blutende Wunde. Trotzdem biß er wütend in ihre Richtung und versuchte, sich auf seine gelähmten Hinterläufe hochzustemmen. Noch gelang es ihm nicht, aber die Heilung vollzog sich mit unheimlicher Schnelligkeit.
Stefan versuchte, Rebecca noch rascher vor sich herzutreiben, begriff aber sofort, daß er sie damit nur aus dem Gleichgewicht bringen würde. Jeder Sekundenbruchteil zählte. Er wagte es nicht, auch nur einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen, als sie die Treppe hinaufstürmten, aber er glaubte bereits wieder jene furchtbaren reißenden Laute zu hören, welche die Verwandlung begleiteten.
Whites Mann kam ihnen entgegen, wechselte die Waffe von der Rechten in die Linke und riß Rebecca mit der freigewordenen Hand brutal die beiden letzten Stufen hinauf. Stefan wollte protestieren, ließ es dann aber: Hinter ihnen erscholl ein zorniges Heulen, in dem bereits sehr viel mehr Zorn als Schmerz zu hören war.
Oer Amerikaner gab einen weiteren Schuß in den leeren Pool ab, fuhr auf dem Absatz herum und versetzte Stefan einen derben Stoß in den Rücken. Stefan stolperte, kämpfte zwei, drei Schritte lang verzweifelt um sein Gleichgewicht und wäre wahrscheinlich trotzdem
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