Wolfsherz
Bewegung zu erwidern versuchte und Rebecca sie daran hinderte.
Sonja seufzte. »Gib sie mir«, sagte sie. Stefan war überrascht, wie sanft ihre Stimme klang. Da war keine versteckte Drohung, kein Zorn, nicht einmal Groll. Sie klang fast wie ein Flehen. Um Verständnis?
»Nein!« wimmerte Rebecca. Sie krümmte sich in dem Winkel zwischen Wand und Boden des Pools, zog den Kopf zwischen die Schultern und begann am ganzen Leib zu zittern. Trotzdem preßte sie Eva weiter mit aller Kraft an sich.
»Du tust ihr weh«, sagte Sonja sanft.
Rebecca lockerte ihren Griff tatsächlich, wenn auch nur um eine Winzigkeit. Erstaunlicherweise nutzte Eva die Chance nicht, um sich sofort loszureißen, sondern drehte nur den Kopf und sah das schwarzhaarige Mädchen über sich an. Fast als spüre sie, daß nun alles gut werden würde.
»Du mußt sie mir geben«, sagte Sonja noch einmal. »Dein Mann hat recht, weißt du? Sie kann hier nicht leben. Nicht in eurer Welt. Nicht einmal in diesem Körper. Sie wird sterben, wenn ich sie nicht dorthin zurückbringe, wohin sie gehört.«
»Nein«, antwortete Rebecca. »Das ist... nicht wahr! Du lügst! Wer... wer bist du?«
»Aber das weißt du doch längst«, antwortete Sonja. Sie warf einen raschen Blick über die Schulter zurück in Stefans Gesicht, ehe sie sich vor Rebecca auf die Knie sinken ließ und die Arme ausstreckte. Rebecca schloß erschrocken die Arme wieder fester um Eva.
Die Bewegung galt jedoch gar nicht dem Kind. Sonjas Hände berührten ganz sacht Rebeccas Gesicht, hielten es für einen Moment und zogen sich dann ebenso sanft wieder zurück.
»Soviel Angst«, sagte sie. »So unendlich viel Furcht. Hast du denn wirklich geglaubt, daß wir dir etwas zuleide tun wollten?«
»Geh!« wimmerte Rebecca. Sie stieß kraftlos mit den Beinen nach Sonja, aber es war eine Bewegung ohne die geringste Kraft. Sonja machte sich nicht einmal die Mühe, sie abzuwehren. Das Mitleid, das Stefan in ihren Augen gesehen zu haben glaubte, war echt.
»Ich muß sie mit mir nehmen, Schwester«, sagte Sonja. »Sie ist noch zu jung. Sie hat noch nicht gelernt, in diesem Körper zu leben. Sie stirbt, wenn du sie hierbehältst.«
Stefan bezweifelte, daß Rebecca ihre Worte überhaupt hörte. Und ganz bestimmt begriff sie nicht, was sie bedeuteten. Wie konnte sie auch? Zweifellos spürte sie die Veränderung, die mit ihr vonstatten ging, ebenso deutlich wie er. Aber sie war von ihnen beiden nicht nur immer die Stärkere gewesen, sondern auch die mit Abstand
Rationalere.
Für sie mußte eine Welt zusammenbrechen. Und vielleicht riß sie ihren Verstand mit sich.
Er kniete halb neben Rebecca und Sonja nieder, streckte die Hand aus und wagte es dann doch nicht, sie zu berühren. Sonja drehte langsam den Kopf und sah ihn an. Ihre Augen waren schwarz, ohne Pupille oder Iris; ein Anblick, der eigentlich erschreckend sein sollte, es aber nicht war.
»Ich... habe das... nicht gewußt«, sagte er stockend.
Sonja lächelte milde. »O doch«, antwortete sie. »Du hast es dir nur nicht eingestehen wollen. Aber ich kann dich verstehen. Eure Welt ist so anders. So erschreckend. Aber auch so schön.«
»Dann bleibt hier«, sagte er impulsiv. Es war vollkommen widersinnig, aber einfach das erste, was ihm einfiel. »Bleibt einfach bei uns. Bleibt einfach hier. Diese Welt bietet viel mehr als euer Tal!«
Er hatte etwas sehr Dummes gesagt. Selbst ohne das verzeihende Lächeln in Sonjas Augen hätte er das wohl schon im gleichen Moment begriffen, in dem er die Worte ausgesprochen hatte.
»Für euch vielleicht«, antwortete sie. »Nicht für uns.«
»Könnt ihr... in diesen Körpern überleben?« fragte er.
»Ja«, antwortete Sonja. »Aber es wäre...«, sie suchte einen Moment nach Worten, »... unangenehm. Und für sie wäre es tödlich.« Sie deutete auf Eva. »Sie hat noch nicht gelernt, mit der Kraft umzugehen, die in ihrem Blut ist. Es ist erst das erste Mal, daß sie die Verwandlung durchmacht.«
Sie schwieg einen Moment, dann wandte sie sich wieder an Rebecca und sprach mit großem Ernst weiter: »Selbst wenn ihr Körper überlebt, würde ihr Verstand zerbrechen. Sie gehört nicht in eure Welt. Sowenig wie wir.«
»Und wir?« fragte Stefan. »Was ist mit uns? Werden wir...«, er stockte; es kostete ihn alle Kraft, die beiden Worte auszusprechen, »... auch so ?«
Sonja schwieg, und nach einigen Sekunden flüsterte Stefan:
»Also deshalb habt ihr uns niemals wirklich etwas getan. Ihr hättet uns ein
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