Wolfsherz
mittlerweile in eine Lage bugsiert, in der ihr Gesicht nicht mehr von ihren Faustschlägen getroffen werden konnte, aber Evas Füße trommelten weiter gegen ihren Bauch. Rebecca würde ihm das Mädchen jedoch niemals geben. So beließ er es dabei, sie an der Schulter zu ergreifen und mit sich zurück an die Wand zu ziehen. Auf diese Weise konnten sie wenigstens nicht von hinten angegriffen werden. Ein erbärmlicher Schutz, aber der einzige, den sie hatten.
Rebecca preßte sich zitternd neben ihn an den rauhen Beton, Das Haar hing ihr wirr ins Gesicht. Ihre Wangen waren blutüberströmt, aber Stefan sah auch, daß die meisten Wunden, die Evas Fingernägel ihr zugefügt hatten, schon wieder verschwunden waren.
»Großer Gott, Stefan«, flüsterte sie. »Was ist das? Was... was wollen diese Bestien von uns? Werden sie uns töten?«
Stefan antwortete nicht. Die Wölfe hatten sie jetzt eingekreist. Der Schwarze, wahrscheinlich der Anführer, war bis auf zwei Schritte herangekommen, die beiden anderen standen rechts und links hinter ihm und machten jeden Gedanken an einen Fluchtversuch illusorisch. Es gab nichts mehr, worauf sie noch warten konnten.
Und trotzdem wußte er plötzlich, daß sie nicht angreifen würden, ebensowenig, wie sie gekommen waren, um sie zu töten. Jedenfalls nicht gleich.
Der schwarze Wolf kam noch einen Schritt näher. Er hatte die Lefzen drohend zurückgezogen, trotzdem aber aufgehört zu knurren. Der Blick seiner großen, beunruhigend
wissenden
Augen war starr auf Rebecca gerichtet. Jedenfalls glaubte Stefan das im ersten Moment. Dann sah er, daß das nicht stimmte. Das Tier starrte Eva an.
Zum erstenmal hatte er nun Gelegenheit, die Wölfe genauer in Augenschein zu nehmen. Das Tier, das vor ihm stand, war wahrhaft riesig - viel größer als jeder Schäferhund, den er jemals gesehen hatte, und mindestens doppelt so schwer. Sein Körper strahlte Kraft und Schnelligkeit aus wie etwas, das man beinahe sehen konnte, und er hatte nichts von jenen ausgemergelten Jammergestalten, die er zwei- oder dreimal hinter den Gitterstäben im Zoo gesehen hatte. Stefan war nicht einmal mehr sicher, ob es wirklich
Wölfe
waren. Wenn, dann war dieses schwarze, gewaltige Tier das Urbild eines Wolfs, das Original, von dem alle anderen nur blasse Kopien darstellten.
Der Wolf machte einen weiteren halben Schritt auf sie zu. Rebecca trat nach ihm. Natürlich traf sie ihn nicht, aber die abrupte Bewegung brachte sie fast aus dem Gleichgewicht; und sie gab Eva Gelegenheit, sich beinahe loszureißen.
Zum erstenmal gab das Kind einen Laut von sich: ein hohes, wimmerndes Jaulen, das nicht mehr im geringsten menschlich klang und Stefan einen Schauer über den Rücken jagte. Eva trat mit aller Kraft um sich, schrie immer lauter und schriller und streckte beide Arme nach dem Wolf aus. Das Tier knurrte, kam abermals näher, und Rebecca nutzte die Chance, noch einmal nach ihm zu treten.
Diesmal traf sie.
Ihr Fußtritt konnte dem riesigen Tier kaum ernsthaft schaden, aber er überraschte es vollkommen. Der Wolf jaulte, knickte in den Vorderläufen ein und brachte sich mit einem hastigen Satz in Sicherheit, als Rebecca sofort noch einmal nachtrat. Sofort sprangen die beiden anderen Wölfe auf sie zu und fletschten die Zähne, wichen aber schnell wieder zurück, als der Schwane ein kleines, abgehacktes Bellen ausstieß.
Rebecca prallte zurück, umschlang Eva mit beiden Armen und versuchte, sie irgendwie zu bändigen. Stefan glaubte nicht, daß es ihr gelingen würde, ohne dem Kind tatsächlich den Atem abzuschnüren oder ihm ein paar Knochen zu brechen.
»Verschwindet!« schrie sie. »Haut ab, ihr verfluchten Biester! Ihr bekommt sie nicht! Niemals! Ihr müßt mich schon umbringen!«
Der schwarze Wolf schoß auf sie zu, biß nach ihrem Bein und warf im letzten Moment den Kopf zur Seite, so daß seine zuschnappenden Kiefer ihren Unterschenkel um Haaresbreite verfehlten.
Dennoch reichte schon diese vorgetäuschte Attacke, Rebecca aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie strauchelte, fiel gegen die Wand und sackte wimmernd daran herab.
Der Wolf kam wieder näher. Er hatte aufgehört zu knurren und zeigte nicht einmal mehr die Zähne. Langsam, fast behutsam, wie es Stefan vorkam, näherte sich sein gewaltiger Schädel Rebeccas Gesicht. Etwas... änderte sich in seinem Blick. Die unbezähmbare Wildheit darin erlosch, und etwas anderes trat an deren Stelle. Hätte Stefan nicht gewußt, daß es vollkommen unmöglich war, hätte
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