Wolfsherz
über der Hütte hinauf, ehe er sich endgültig der Tür zuwandte. Die drei gepanzerten Fahrzeuge der Russen standen mit ausgeschalteten Scheinwerfern dort oben. Die Dunkelheit und ihre
Tambemalung ließ sie für menschliche Augen unsichtbar werden; allenfalls Schatten, die sie kaum von den Umrissen des Kliffs unterschieden, über das sie hinausragten. Aber er war schon lange nicht mehr auf diese unzulänglichen Krücken angewiesen. Er sah die Panzerwagen fast so deutlich wie am hellichten Tag. Die Läufe ihrer Kanonen und Maschinengewehre waren drohend auf die Baumwipfel unter ihm gerichtet. Und er spürte überdeutlich die Konzentration der Männer, die in den gepanzerten Kolossen saßen und auf ihre Infrarot-Scanner starrten, bereit, beim geringsten Anzeichen von Leben das Feuer zu eröffnen.
Barkows Söldnerarmee war empfindlich zusammengeschmolzen, seit sie das letze Mal hiergewesen waren. In diesem Punkt hatte White recht behalten: Ihrer Führung beraubt,
war
die Truppe rasch auseinandergefallen. Barkows Sohn war nur ein kleiner Haufen Männer geblieben. Die, die seinem Vater persönlich verpflichtet gewesen waren, und die, die einfach nicht wußten, wohin sie sonst gehen sollten. Trotzdem war die Schlagkraft der Truppe kaum beeinträchtigt, denn die Deserteure hatten den Großteil ihrer Waffen und natürlich alles schwere Gerät hiergelassen.
Er ging zur Tür. Zwei Schritte, bevor er sie erreichte, wurde sie geöffnet, und White, Barkow und Matt betraten den Raum. Alle drei trugen gefleckte Tarnkleidung und Stiefel, Barkow zusätzlich einen Helm mit eingebautem Funkgerät, dessen Mikrofon an einem dünnen Draht vor seinen Lippen hing. Zugleich boten sie einen fast komischen Anblick, denn alle drei trugen einen Arm in der Schlinge.
Barkow trat einen Schritt an Stefan vorbei und sah für eine Sekunde mit steinernem Gesicht auf das dunkel eingetrocknete Blut seines Vaters auf der Tischplatte hinab. Dann gab er sich einen Ruck, trat ans Fenster und starrte in das Tal hinunter.
»Wir sind soweit«, sagte er.
Stefan schüttelte den Kopf, obwohl Barkow gar nicht in seine Richtung blickte und die Bewegung somit nicht sehen konnte. »Es ist noch zu früh«, sagte er. »Warten Sie, bis die Sonne aufgegangen ist. Bei Dunkelheit haben Ihre Leute keine Chance, glauben Sie mir.«
Barkow lachte; ein Laut ohne die allermindeste Spur von Humor. Er drehte sich nicht um, warf Stefan aber durch die Spiegelung in der Fensterscheibe einen fast mitleidigen Blick zu.
»Sie unterschätzen uns, Stefan«, sagte er mit seinem schweren russischen Akzent »Begehen Sie nicht gleichen Fehler wie die Bestien da draußen.«
White macht ein abfälliges Geräusch. »Wenn ich mich richtig erinnere«, sagte er, »dann haben diese
Bestien
dort draußen die letzte Runde klar für sich entschieden.«
Barkow reagierte zwei oder drei Sekunden gar nicht, so daß sich Stefan schon zu fragen begann, ob er die Worte des Amerikaners überhaupt gehört hatte. Dann drehte er sich ganz langsam um und sah White an, und ein einziger Blick in seine Augen reichte, um aus dem, was Stefan schon seit der ersten Minute geargwöhnt hatte, Gewißheit werden zu lassen: Barkow würde White töten, ebenso wie seinen Begleiter und auch ihn, Stefan. Er hatte niemals vorgehabt, sie am Leben zu lassen.
»Damals wußten wir nicht, womit wir es zu tun haben«, antwortete er kalt. »Jetzt wissen wir es.« Er sah auf die Uhr. »Es wird Zeit. Ihr dürft das Haus nicht verlassen, bevor wir zurück sind. Die Männer an den Geschützen haben Befehl, auf alles zu schießen, was sich bewegt. Sie treffen fast immer.«
»Wir bleiben hier«, versprach Stefan. »Und denken Sie daran: Schießen Sie auf ihre Köpfe. Oder verbrennen Sie sie.«
»Wir werden beides tun«, antwortete Barkow. Er schlug mit der flachen Hand auf den Flammenwerfer, den er anstelle eines Gewehres über der Schulter trug. Dann schaltete er das Funkgerät in seinem Helm ein, sprach ein paar Worte auf russisch in das Mikrofon und verließ ohne weiteren Kommentar das Haus. Er ließ die Tür hinter sich offen.
Stefan trat wieder ans Fenster und sah nach unten. Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis der erste von Barkows Männern in seinem Blickfeld erschien.
Stefan sah der Gruppe in gefleckte Tarnanzüge gekleideter, mit Infrarot- und Nachtsichtbrillen, Flammenwerfer und Maschinenpistolen ausgerüsteter Männer nach, bis sie unter ihm im Wald verschwunden waren. Barkow eingeschlossen, waren es achtzehn.
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