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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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achselzuckend. »Ich habe schon Schlimmeres überstanden.«
    Stefan machte ein besorgtes Gesicht. Becci hatte mehr als ein
bißchen Fieber.
Ihre Augen waren trüb, und sie roch schlecht; was sicher zum Teil daran lag, daß sie seit drei Tagen nicht mehr aus ihren Kleidern gekommen war. Ihr Haar hatte seinen natürlichen Glanz verloren und sah aus wie braungefärbtes Stroh, und ihre Hände zitterten ganz leicht. Als Stefan sie ergriff, stellte er erschrocken fest, wie heiß und trocken sich ihre Haut anfühlte.
    »Du hast
hohes
Fieber«, sagte er ernst. »Nicht ›ein bißchen‹. Es könnte eine Lungenentzündung sein.«
    »Dafür hat man das Penicillin erfunden«, sagte Rebecca. »Reg dich ab. Wir bringen das hier hinter uns, und danach kannst du mich meinetwegen zu sämtlichen Ärzten schleifen, die du findest. Aber erst will ich dieses Interview!«
    Wissler räusperte sich. Das Gespräch begann ihm sichtbar unangenehm zu werden. »Ich... warte dann nebenan«, sagte er stockend. »Beeilen Sie sich ein bißchen, okay?«
    Sie warteten, bis er das Zimmer verlassen hatte. Dann ging Rebecca zu der Truhe, klappte sie auf und grub einige Sekunden lang hektisch darin herum.
    »Was hast du vor?« fragte Stefan.
    Rebecca richtete sich auf und schwenkte triumphierend ein winziges, silberfarbenes Kästchen, das kaum größer war als ein Feuerzeug. Es war ein Aufnahmegerät; das elektronische Äquivalent zu einem Kassettenrecorder, das über eine knappe halbe Stunde Aufnahmekapazität verfügte und ein extrem empfindliches Mikrofon besaß. Man konnte es zum Beispiel in der geschlossenen Jackentasche eines Skianzugs tragen und trotzdem jedes Wort aufnehmen, das im Umkreis von zehn Metern gesprochen wurde. Becci hatte es anläßlich eines Besuches in England vor zwei Jahren gekauft; in einem jener total schrägen Yuppie-Läden, wie man sie nur in London findet und in denen man angefangen von einer kompletten Spionageausrüstung bis hin zu Kaffeetassen, die bei jedem Schluck die Melodie von Big Ben spielten, so ziemlich alles erstehen konnte; nur nichts Sinnvolles. Soweit er wußte, hatte sie dieses Gerät noch nie benutzt.
    »Bist du sicher?« fragte er.
    »Es funktioniert«, antwortete Rebecca. »Ich habe es vor unserer Abfahrt noch getestet. Es funktioniert. Und die Batterien sind neu.«
    »Das meine ich nicht«, sagte Stefan. Er machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Vielleicht hatte Wissler recht, weißt du? Diese Männer sind gefährlich. Wenn Barkow merkt, daß du das Gespräch mitschneidest...«
    »Das wird er nicht«, versicherte Rebecca. »Ich werde es an einer Stelle verstecken, an der er bestimmt nicht nachsieht.«
    Stefan resignierte endgültig. Es war ohnehin nur seine Vernunft gewesen, die protestieren wollte. Beccis Vorhaben war riskant, leichtsinnig und ziemlich unvernünftig - und er konnte es hundertprozentig verstehen. Er selbst hätte an ihrer Stelle kein bißchen anders reagiert. Ja, er hatte sogar einen kurzen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, selbst eine Kamera mitzunehmen; vielleicht die kleine Pocket, die er durchaus in der Jackentasche verstecken und versuchen konnte, doch noch ein paar Schnappschüsse zu ergattern - ohne Blitz und auf das Risiko hin, nur einen schwarzen Filmstreifen aus der Entwicklerdose zu ziehen.
    Und auf das Risiko hin, erschossen zu werden. Er wußte nicht, was an Wisslers Gerede über die Partisanen dran war - aber wenn auch nur die Hälfte von dem stimmte, was sie über Barkow gehört hatten, dann war diesem Mann ein Menschenleben wirklich vollkommen egal. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, dachte er, es blieb dabei: Sie hätten nicht herkommen sollen.
    Aber diese Erkenntnis kam ein bißchen zu spät.
    Obwohl Wissler sie zur Eile gemahnt hatte, verzögerte sich ihre Abfahrt schließlich um beinahe eine Stunde. Es begann dunkel zu werden, als sie in den Wagen stiegen und in östlicher Richtung davonfuhren, und mit der hereinbrechenden Dämmerung breitete sich eine sonderbare, fast mystische Stimmung über den Bergen aus.
    Das war das erste gewesen, was ihm nach seiner Ankunft in diesem Land aufgefallen war: die sonderbare Art der Dämmerung, wie er sie noch an keinem anderen Ort auf der Welt erlebt hatte. Es schien zweimal zu dämmern - zuerst verblaßten die Farben, bis die ganze Welt zu einer Schwarz-Weiß-Fotografie mit krassen Schatten und hart gezeichneten Umrissen geworden war, ohne daß es dabei wirklich dunkler wurde. Erst dann, nach einer unbestimmten,

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