Wolfsherz
schließlich keine Kannibalen.«
»Nein. Aber Mörder, Diebe, Räuber und alle möglichen anderen Verbrecher. Sie nennen sich Partisanen, aber in Wirklichkeit sind sie nichts als eine Räuberbande. Das einzige, was sie interessiert, ist Geld. Und das einzige, was sie respektieren, ist Stärke. Wenn wir jetzt hinausgehen und in diesen Jeep steigen, dann werden Sie, verdammt noch mal, nichts tun oder sagen, was ich Ihnen nicht vorher gestatte.«
»Sind Sie verrückt?« fragte Stefan fassungslos.
»Nein. Aber Sie sind ziemlich naiv, mein lieber Junge«, antwortete Wissler. Er war gut fünf Jahre jünger als Stefan, aber die Worte wirkten in diesem Moment kein bißchen lächerlich. »Sie haben's immer noch nicht begriffen, wie? Sie und Ihre hübsche Frau sind anscheinend immer noch der Meinung, daß das hier nichts anderes als eine Art verlängertes Wochenende ist, inklusive ein bißchen Abenteuerurlaub. Aber das ist es nicht. Das da draußen sind Killer. Denen gilt ein Menschenleben gar nichts!«
»Warum sind Sie dann überhaupt mitgekommen, wenn es wirklich so gefährlich ist?« fragte Stefan.
»Weil Sie mich dafür bezahlen«, antwortete Wissler.
»Nicht gut genug, um Ihr Leben zu riskieren«, erwiderte Stefan.
Das Gespräch bereitete ihm immer größeres Unbehagen. Er fühlte sich von Wissler in die Enge getrieben, und auf eine heimtückische Art überrascht.
Er hatte gewußt, daß dieser Streit früher oder später kommen würde, und natürlich hatte er gewußt, daß er als Sieger daraus hervorgehen mußte. Schließlich war Wissler nichts als ein Abenteurer, der aussah wie eine billige Imitation von Indiana Jones und sich normalerweise so benahm, daß man es sich sogar zweimal überlegt hätte, ihn zu einem Essen bei McDonalds einzuladen. Er hatte keine Chance in einem Disput gegen einen Mann wie Stefan Mewes, es sei denn, dieser wurde mit Fäusten und Stiefelspitzen ausgetragen. Wenigstens hatte Stefan das gedacht. Jetzt kam er sich vor wie ein Boxer, der zu einem vierzig Pfund leichteren Gegner in den Ring gestiegen war und schon nach den ersten Sekunden so mit Schlägen eingedeckt wurde, daß er nur noch Sterne sah. Er konnte vermutlich von Glück sagen, wenn er nur nach Punkten verlor, und nicht zu Boden ging.
»Niemandem von uns wird etwas passieren, wenn wir uns an ein paar simple Spielregeln halten«, antwortete Wissler. »Ich habe ihnen die vereinbarte Summe gegeben, und keinen Pfennig mehr.«
»Wer sagt Ihnen, daß sie uns nicht trotzdem umbringen?« wollte Rebecca wissen. Sie klang ein bißchen nervös, aber eigentlich nicht wirklich ängstlich. »Wenn diese Männer wirklich so gefährlich sind, wie Sie behaupten - was hindert sie dann daran, uns umzubringen und sich zu nehmen, was sie haben wollen?«
»Sie sind vielleicht skrupellos, aber nicht dumm«, antwortete Wissler. »Man macht auf die Dauer keine guten Geschäfte, wenn sich herumspricht, daß man dazu neigt, alle seine Geschäftspartner umzubringen. Und ich kenne die Regeln. Das da draußen sind Wilde, Frau Mewes, auch wenn Sie es nicht glauben. Sie respektieren Stärke, und sie verachten Schwäche. Sie bringen Sie für eine Zigarette um, ohne mit der Wimper zu zucken, aber wenn es Ihnen einmal gelungen ist, ihren Respekt zu erringen, können Sie mit einem Sack voller Diamanten in der Tasche seelenruhig schlafen.«
Stefan fragte sich, aus welchem Groschenroman Wissler diesen Satz aufgeschnappt hatte, aber er verbiß sich jede entsprechende Bemerkung. Der Kampf war vorbei und entschieden, und es brachte nichts mehr, ihn fortzusetzen, nur um noch ein paar Punkte gutzumachen. Außerdem hatte er Angst, sich vielleicht eingestehen zu müssen, daß Wissler recht hatte.
»Ziehen Sie sich jetzt besser an«, sagte Wissler. »Die wärmsten Sachen, die Sie mithaben. Wir werden ziemlich lange unterwegs sein, und es sieht nach Schnee aus.«
Stefan ersparte es sich auch jetzt, zu antworten. Sie trugen bereits die wärmsten Sachen, die sie eingepackt hatten: blau und orange gestreifte Skianzüge im Partnerlook, die sie für ihren ersten - und einzigen - gemeinsamen Schneeurlaub vor fünf Jahren gekauft hatten, dazu passende Schneestiefel und farblich abgestimmte Handschuhe. Rebecca hatte sich eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen können, als sie vor zwei Wochen ihre Koffer gepackt hatten, und er darauf bestand, die sperrigen Kleidungsstücke mitzunehmen. Mittlerweile waren sie beide heilfroh, sie dabeizuhaben. Ohne die gefütterten Anzüge
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