Wolfsherz
mißtrauischer Mann. Wahrscheinlich beobachten sie uns, seit wir das Haus verlassen haben.«
Rebecca fuhr sichtbar erschrocken zusammen, und auch Stefan sah sich instinktiv nach allen Seiten hin um. Natürlich sah er nichts außer Dunkelheit und Schatten, hinter denen sich alles oder auch nichts verbergen konnte, aber als er sich wieder umwandte, begegnete er Wisslers spöttischem Blick.
»Was ist so komisch?« wollte er wissen.
Wissler zog seine Handschuhe aus und zündete sich eine filterlose Zigarette an. Rebecca und Stefan schüttelten unisono den Kopf, als er ihnen die Packung hinhielt. »Sie«, sagte er, nachdem er seinen ersten Zug genommen hatte.
»Wir?«
Wissler nickte mehrmals hintereinander. »Sie sollten sich selbst sehen«, sagte er. »Sie versuchen den coolen Typen zu spielen, aber Sie sind aufgeregt wie ein kleiner Junge, der darauf wartet, in das Zimmer mit dem Weihnachtsbaum gelassen zu werden. Sie wissen nicht wirklich, worauf Sie sich da eingelassen haben, wie?«
»Barkow ist -«, begann Rebecca, wurde aber sofort von Wissler unterbrochen.
»Ich rede nicht von Barkow«, sagte er. »Nach allem, was ich über ihn gehört habe, ist er nichts als ein kleiner Ganove. Ziemlich verrückt und ziemlich gefährlich, aber trotzdem nur ein kleiner Gangster, der zufällig im richtigen Moment am richtigen Ort war, um seinen Profit zu machen. Ich meine dieses Land.«
»Sie meinen dieses... dieses Tal?« fragte Rebecca.
Wissler schüttelte den Kopf. »Nein. Alles. Die Menschen hier, ihre Art zu leben. Ihr Denken. Ich weiß, es geht mich nichts an, aber... was glauben Sie erreichen zu können?«
Stefan verstand die Frage nicht. Aber sie beunruhigte ihn. »Erreichen?«
»Verändern, bewirken, verbessern...« Wissler machte eine wedelnde Handbewegung. »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Sie wollen doch irgend etwas erreichen, oder? Oder haben Sie das alles wirklich nur auf sich genommen, weil Sie hoffen, ein fettes Honorar für dieses Interview zu bekommen?«
»Natürlich nicht«, widersprach Rebecca heftig. »Aber -«
»Aber Sie denken tatsächlich, Sie würden irgend etwas verändern, wenn Sie einem kleinen Kriminellen wie Barkow das Handwerk legen.« Wissler seufzte. »Sie werden nichts ändern, glauben Sie mir. Nicht, solange Sie nicht versuchen, dieses Land und seine Menschen wirklich zu verstehen. Ich dachte, Sie wären anders als die, die vorher hier waren. Aber Sie sind auch nur auf eine Sensation aus.«
»Und was sollten wir tun - Ihrer Meinung nach?« fragte Stefan. Das Gespräch verwirrte ihn immer mehr. Er verstand nicht, worauf Wissler hinauswollte, aber er verstand sehr wohl, daß dieser plötzlich nicht mehr wie der Mann redete, als den er ihn bisher kennengelernt hatte.
»Warum interessiert sich niemand für dieses Land?« fragte Wissler. »Für seine Menschen und ihr Leben?«
»Aber das tun wir doch!« protestierte Rebecca. »Warum, glauben Sie, daß wir hier sind? Wir berichten seit Jahren -«
»- über den Krieg«, fiel ihr Wissler ins Wort. »O ja, ich weiß! Die Zeitungen und Fernsehprogramme sind voll davon. Wer gerade mit wem verbündet ist, welche Seite wieder einmal einen Waffenstillstand gebrochen hat, welche Stadt seit wann unter Feuer liegt.« Er zog erregt an seiner Zigarette. »Sie zählen die Granaten, die explodieren, und Sie zeigen Bilder von Kindern, die von Querschlägern getroffen wurden. Und ab und zu holen Sie sich eines dieser verletzten Kinder in eines Ihrer modernen Krankenhäuser und pflegen es gesund, und das ist dann auch wieder eine Story wert, wie? Wissen sie was? Ich finde das alles zum Kotzen. Bunte Bilder und möglichst viel Blut, das ist es, worauf Sie scharf sind. Kein Schwein interessiert sich für dieses Land und für seine Menschen.«
»Vielleicht müssen wir einige Kinder weniger in unsere modernen Krankenhäuser bringen, nach dieser Reportage«, sagte Rebecca. Ihre Stimme klang unerwartet schroff, obwohl Stefan eigentlich sicher war, daß Wissler weder sie noch ihn persönlich angreifen wollte und daß Becci das auch wußte. Aber er hatte unbewußt eine andere noch lange nicht vernarbte Wunde berührt.
»Kaum«, sagte er abfällig. »Schalten Sie einen Waffenhändler aus, und ein anderer nimmt seinen Platz ein. Sie sind wie Kakerlaken - Sie können so viele zertreten, wie Sie wollen, es kommen immer neue.«
Rebecca wollte auffahren, aber Stefan sagte rasch und mit lauterer, leicht erhobener Stimme: »Und worüber sollten wir berichten - Ihrer
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