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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zumindest subjektiv aber längeren Zeitspanne, begann es wirklich zu dämmern. Er hatte in den letzten Tagen mindestens ein halbes Dutzend Filme verschossen, um diese magischen Augenblicke festzuhalten, aber er bezweifelte insgeheim, daß es ihm gelungen war. Es gab Momente, in denen die Kamera dem menschlichen Auge überlegen war, Bilder, die man nicht sehen, sondern nur auf einer Fotografie erkennen konnte. Aber das galt umgekehrt ganz genauso: Es gab Dinge, die ließen sich nicht fotografieren, und Augenblicke, die man zerstörte, wenn man versuchte, sie auf Papier zu bannen.
    Die Dämmerung in diesem Land gehörte zweifellos dazu. Vielleicht fand der geheimnisvolle Zauber, den er spürte, auch nur
hinter
seinen Augen statt, nicht davor. Er hatte versucht, Becci darauf aufmerksam zu machen, aber nichts als einen verständnislosen Blick geerntet, und er hatte diesen Versuch nicht wiederholt, um sich nicht nach diesem Blick auch noch ein paar spöttische Bemerkungen einzuhandeln. So gut sie sich auch vertrugen, gab es doch ein paar Bereiche, in denen sie niemals zu einem Konsens gelangen würden, und dieser Bereich gehörte dazu: In ihrer Partnerschaft war eindeutig er der Romantiker, und sie der pragmatische Typ. Beruflich ergänzten sie sich in dieser Hinsicht hervorragend. Privat nicht ganz so gut; vorsichtig ausgedrückt.
    Die beiden Jeeps näherten sich dem Fuß eines Hügels und damit dem Waldrand, und Stefan drehte sich noch einmal im Sitz herum und sah zum Haus zurück, ehe es vollends aus ihrem Blickfeld verschwand. In der hereinbrechenden Dunkelheit war es jetzt schon kaum mehr zu erkennen: ein Schatten unter vielen, der sich nur durch seine geometrischen Umrisse von denen der Hügel dahinter unterschied. Ihm war nicht sehr wohl bei dem Anblick. Die kleine Blockhütte war in den vergangenen drei Tagen nicht nur zu ihrem Zuhause geworden; sie hatten auch praktisch ihr gesamtes Gepäck darin zurückgelassen. Allein der Wert seiner Fotoausrüstung überstieg den eines Mittelklassewagens, von dem
potentiellen
Wert ihrer Aufzeichnungen, die zusammen mit seiner Fotoausrüstung in der Truhe lagen, ganz zu schweigen. Er mußte plötzlich wieder daran denken, was Wissler über die Leute hier erzählt hatte. Das Wort »Räuberbande« klang romantisch und aufregend, wenn man es aus einem Fernseher hörte, vor dem man in einem gemütlichen Sessel saß und Erdnüsse knabberte. In einem zugigen Jeep, der bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in die Nacht hineinfuhr, klang es nicht mehr ganz so komisch.
    »Ich habe das Gas abgestellt«, sagte Rebecca. Sie hatte seinen Blick bemerkt, und offensichtlich war er besorgter, als ihm selbst bewußt war. »Und das Bügeleisen habe ich auch herausgezogen, keine Sorge.«
    »Ich mache mir Sorgen um unser Gepäck«, antwortete er, aber auch leise genug, damit nur Becci seine Antwort verstand. Sie waren nicht allein im Jeep. »Du siehst zu schwarz«, sagte Rebecca. »Außerdem, wenn wir mit dem Interview zurück sind, kaufe ich dir zwei neue Ausrüstungen, wenn du willst.«
    Stefan lächelte. Wenn man Becci so reden hörte, konnte man meinen, daß sie den Pulitzerpreis schon so gut wie in der Tasche hatte, zusammen mit einem Scheck über eine siebenstellige Summe, für die sie die Reportage an den Meistbietenden verkauft hatte. Vielleicht kam er der Wahrheit damit sogar ziemlich nahe; nicht unbedingt, was den Preis anging. Aber diese Reportage
war
ihre große Chance. Sensationen verkauften sich im Moment ziemlich gut. Falls sie lange genug am Leben blieben, um einen Käufer zu finden.
    »Niemand wird Ihr Eigentum anrühren«, sagte Wissler plötzlich.
    Stefan war im ersten Moment nicht sicher, ob er überrascht oder zornig sein sollte. Die beiden Jeeps fuhren trotz der Kälte mit offenem Verdeck, so daß das Motorengeräusch seine Worte eigentlich hätte verschlucken müssen; zumal er sehr leise gesprochen hatte. Trotzdem hatte Wissler ihn offenbar verstanden, was bedeutete, daß er sie ganz ungeniert belauschte.
    »Sind Sie sicher?« fragte er übellaunig.
    »Hundertprozentig.« Wissler drehte sich auf dem Beifahrersitz herum und sah erst Rebecca, dann ihn an. »Solange alles planmäßig läuft, wird niemand Ihr Eigentum anrühren. Und wenn nicht...« Er zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, dann müssen Sie sich keine Sorgen mehr um ein paar Fotoapparate machen.«
    Stefan warf einen raschen, mahnenden Blick auf den Mann hinter dem Steuer, aber Wissler schüttelte nur den Kopf.

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