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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Mehr noch, es gab nicht einmal jemanden, der es grundlos tun würde; denn sie waren die einzigen, die überhaupt wußten, worum es ging. Vielleicht hatte er mit seiner ersten Vermutung doch ins Schwarze getroffen. Je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien Stefan diese Erklärung. Er versuchte, das Gesicht des jungen Burschen, den er am Kaffeeautomaten getroffen hatte, vor seinem geistigen Auge heraufzubeschwören. Aber er erinnerte sich nur vage an seine Züge, und vermutlich war diese Erinnerung so falsch, daß er an ihm vorbeilaufen würde, ohne ihn wiederzuerkennen. Was er jedoch nicht vergessen hatte, das war der Ausdruck in seinen Augen. Da waren eine Wildheit und eine gnadenlose Kälte gewesen, die ihn bis ins Innerste erschreckt hatten.
    Stefan spürte ein kurzes, eisiges Frösteln. Sie hatten so oft über Menschen wie ihn berichtet, hatten so oft gesehen, wozu sie imstande waren, welche schrecklichen Dinge sie vollkommen grundlos taten, nur so, weil es ihnen in den Sinn kam, aus Langeweile oder völlig banalen Anlässen, daß er nicht umsonst Angst vor dieser Art von Menschen hatte. Trotzdem war ihm bis jetzt nicht einmal der Gedanke gekommen, daß auch er eines Tages zum Opfer eines solchen Verrückten werden könnte. Solche Dinge geschahen nicht - sie passierten immer nur anderen, niemals einem selbst.
    Aber nun war es ihm passiert, und plötzlich fühlte sich Stefan so hilflos, daß er am liebsten laut losgeschrien hätte.
    Natürlich fuhr er schließlich doch ins Krankenhaus. Nach zwei Stunden, die die Hölle gewesen waren, hatte Robert endlich aus dem Hotel angerufen, und er hatte ihm die ganze Geschichte erzählt. Sein Schwager hatte genau so darauf reagiert, wie Stefan erwartet hatte: ruhig und mit einer Gelassenheit, die Stefan an den Rand eines neuerlichen Wutausbruches trieb. Er hatte ihm das einzig Vernünftige geraten, nämlich nichts auf eigene Faust zu unternehmen und mit niemandem - auch Rebecca nicht - über die Geschichte zu reden und erst einmal am nächsten Morgen zur Polizei zu gehen und abzuwarten, was die Ermittlungen ergeben hatten.
    Darüber hinaus hatte er ihm die Telefonnummer eines guten Rechtsanwalts gegeben und ihm geraten, auf jeden Fall schon einmal Kontakt mit ihm aufzunehmen. Diesen Teil seines Ratschlages hatte Stefan nicht befolgt. Er konnte selbst nicht genau sagen, warum; seine Situation war nicht ungefährlich, und das mindeste, womit er rechnen mußte, waren eine Menge Arger und Scherereien. Trotzdem schrak er regelrecht davor zurück, den Rechtsanwalt anzurufen. Seine Vernunft behauptete zwar das Gegenteil, aber er war nicht in einer Verfassung, in der Vernunft und Logik eine große Rolle gespielt hätten. Hätte er den Anwalt angerufen, dann wäre ihm das sich selbst gegenüber fast wie ein Eingeständnis gewesen. Sollte es sich als nötig erweisen, konnte er den Anwalt am nächsten Morgen immer noch anrufen. Schlimmstenfalls direkt aus Doms Büro heraus.
    Kurz nach Dunkelwerden verließ er die Wohnung und fuhr wieder zur Klinik. Er hatte Rebecca nicht angerufen, und er hatte sich zumindest vorgenommen, ihr nichts zu erzählen, wußte aber natürlich selbst, daß er diesen guten Vorsatz nicht durchhalten würde. Die Logik - schon wieder dieses Wort, das an diesem Nachmittag fast seine gesamte Bedeutung verloren zu haben schien - sagte ihm zwar, daß es viel vernünftiger wäre, zu Hause zu bleiben oder, wenn er das schon nicht konnte, in irgendeine Kneipe zu gehen und ein paar Biere zu trinken, aber er
mußte
einfach mit Becci reden.
    Als er die Station betrat, war die offizielle Besuchszeit schon seit mehr als zwei Stunden vorbei; trotzdem wurde er nicht aufgehalten. Der Umstand, daß er in den ersten Tagen selbst Patient hier gewesen war, verschaffte ihm gewisse Freiheiten; darüber hinaus ging das Personal in dieser Klinik ohnehin sehr großzügig mit der Besuchsregelung um. Stefan hätte sich beinahe gewünscht, daß ihn jemand aufhielte.
    Vor der Tür zu Rebeccas Zimmer blieb er noch einmal stehen und überlegte eine gute halbe Minute lang, wie er das Gespräch beginnen sollte. Nichts lag ihm ferner, als sie zu beunruhigen oder ihr gar angst zu machen, und er wußte, daß beides geschehen würde, wenn er ihr erzählte, was ihm heute passiert war. Einige
    Sekunden lang spielte er mit dem Gedanken, doch noch kehrtzumachen und wieder nach Hause zu fahren, und möglicherweise hätte er es sogar getan, wäre nicht in diesem Moment die Tür des

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