Wolfsherz
Schwesternzimmers hinter ihm aufgegangen und eine Krankenschwester auf den Flur hinausgetreten. Stefan klopfte rasch an, drückte die Klinke herunter, ohne auf eine Antwort zu warten, und betrat das Zimmer.
Die Deckenbeleuchtung war eingeschaltet und der Fernseher lief, aber Rebeccas Bett war leer und wie es aussah, seit dem letzten Beziehen am Morgen unbenutzt. Und auch ihr Rollstuhl war nicht da, wie in einer getreulichen Wiederholung der Szene vom Mittag.
Eines jedoch war anders: Stefan stand jetzt nicht ratlos und ein wenig enttäuscht da, sondern spürte beinahe so etwas wie Erleichterung. Er hatte sein Bestes getan; jetzt konnte er guten Gewissens nach Hause gehen und das einzig Vernünftige tun: versuchen, in dieser Nacht ein paar Stunden zu schlafen und am nächsten Morgen zur Polizei gehen und die Sache irgendwie klären.
Fast schon hastig drehte er sich wieder um, verließ das Zimmer und wäre beinahe mit der Krankenschwester zusammengestoßen, die er vorhin nur aus den Augenwinkeln gesehen hatte.
»Das scheint heute Ihr Pechtag zu sein«, begann sie übergangslos. Stefan erinnerte sich erst mit einer Sekunde Verspätung, daß es dieselbe Krankenschwester war, der er auch früher am Tage schon einmal begegnet war. Er konnte sich immer noch nicht an ihren Namen erinnern, aber das kleine Schildchen auf ihrem Kittel gab Auskunft: Marion.
»Risiko«, sagte er. »Ich hätte vielleicht vorher anrufen sollen. Wissen Sie, wo meine Frau ist?«
Schwester Marion verneinte. »Sie hat sich nicht abgemeldet. Weil sie wußte, daß wir sie nicht weglassen würden«, fügte die junge Krankenschwester lächelnd hinzu. »Doktor Krohn wird einen Schlaganfall bekommen, wenn er hört, daß Ihre Frau schon wieder auf eigene Faust unterwegs ist.« Sie lächelte erneut, dann trat sie einen halben Schritt zurück und musterte ihn mit schräggehaltenem Kopf und auf eine, wie Stefan fand, sehr seltsame Art. Einen Moment lang fragte er sich, ob sie wußte, was am Nachmittag unten in der Tiefgarage passiert war, kam aber dann zu dem Schluß, daß das wahrscheinlich nicht der Fall war. Ihre Unbefangenheit war zu echt, um geschauspielert zu sein.
»Ich glaube, sie hat ein paarmal versucht, Sie anzurufen«, fuhr sie nach einer
Pause fort.
Einige der zahlreichen Anrufe, die er nicht mehr angenommen hatte, dachte Stefan. Er bedauerte es nicht. Was er Rebecca zu erzählen hatte, war nichts fürs Telefon. »Ich war den ganzen Tag unterwegs«, antwortete er achselzuckend. »Ich schätze, irgendwann werde ich mir ein Autotelefon zulegen müssen.«
»Sparen Sie sich die Kosten«, riet ihm Schwester Marion gönnerhaft. »Man braucht diese Dinger immer nur dann, wenn man sie nicht hat. Wenn man erst eins hat, sind sie eine Pest.«
Stefan mußte daran denken, daß er heute zweimal vergeblich versucht hatte, Robert über sein Handy zu erreichen und gab ihr in Gedanken recht. »Vielleicht sollte ich wieder gehen«, sagte er mit einem demonstrativen Blick auf die Armbanduhr. »Es war sowieso keine gute Idee, so spät hierherzukommen.«
»Sie stören nicht«, antwortete Schwester Marion. »Ich wollte, alle Patienten hätten so angenehme Besucher wie Ihre Frau. Sie glauben nicht, was wir hier schon erlebt haben.«
Sie wußte eindeutig nicht, was passiert war. Stefan begann die Hoffnung zu schöpfen, daß niemand auf dieser Station es wußte.
Er verabschiedete sich, ging mit schnellen Schritten zum Aufzug und fuhr ins Erdgeschoß hinunter. Er fühlte sich wirklich erleichtert; so, als wäre er gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Im nachhinein gestand er sich ein, daß es wirklich eine dumme Idee gewesen war, hierherzukommen. Er hatte nichts zu gewinnen und würde Rebecca nur unnötig in Panik versetzen.
Der Aufzug hielt an und Stefan trat in die große, jetzt fast menschenleere Eingangshalle hinaus - und erstarrte mitten in der Bewegung.
Der Empfangsbereich des Krankenhauses, der ihm tagsüber manchmal so eng, laut und überfüllt vorkam wie eine Bahnhofshalle zur Rush-hour, lag jetzt fast ausgestorben vor ihm. Hinter der Theke, die eher an den Empfang eines teuren Hotels erinnerte als an den einer Klinik, saßen zwei Krankenschwestern, die sich leise unterhielten und beim Geräusch der Lifttür automatisch, aber ohne wirkliches Interesse die Blicke hoben, und die einzige andere Person, die sich in der Halle aufhielt, saß auf einem der unbequemen Plastikstühle direkt neben dem Ausgang. Sie drehte ihm den Rücken zu,
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