Wolfsherz
in Erinnerung rufen, daß Dorn nicht zu den Menschen gehörte, mit denen man harmlose Konversation betreiben konnte. Auch wenn es sich nicht so anhörte, war diese Unterhaltung in Wirklichkeit doch ein Verhör.
»Ja«, sagte er ausweichend. »Das ist er. Aber viel geändert hat sich nicht.«
Das war nicht die Antwort, die Dom hatte hören wollen, und diesmal machte er auch keinen großen Hehl aus seiner Enttäuschung. Einige Sekunden lang sah er wieder das Mädchen an, dann fuhr er in nachdenklichem Ton fort: »Ich frage mich langsam, ob der Überfall auf Frau Halberstein vielleicht mit ihr zu tun hatte.«
»Mit Eva?« Stefan machte ein zweifelndes Gesicht. »Aber wieso?«
»Frau Halberstein hat ausgesagt, daß der Angreifer einen starken Akzent gesprochen hat«, sinnierte Dom.
»Oh, ich verstehe«, sagte Stefan spöttisch. »Sie meinen, er wäre gekommen, um sie zurückzuholen.«
»Warum nicht?« sagte Dorn. »Alles ist möglich.«
»Kaum«, antwortete Stefan. »Dazu müßten sie erst einmal wissen, daß wir hier sind. Wir haben den Männern, die hinter uns her waren, nicht gerade unsere Visitenkarte dagelassen, wissen Sie?«
»Was für Männer?« schnappte Dom.
Stefan verfluchte sich innerlich. Offensichtlich war Rebecca dem Inspektor gegenüber nicht annähernd so redselig gewesen wie ihrem Schwager, und die Information, die er Dom versehentlich gegeben hatte, war natürlich Öl in seine Flammen.
»Das... kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete er. »Und es spielt auch in diesem Zusammenhang keine Rolle.«
»Das kann ich wahrscheinlich besser beurteilen als Sie.«
Stefan zuckte mit den Schultern und wich Doms Blick aus. »Ja«, antwortete er. »Wahrscheinlich.« Und schwieg.
Dom runzelte die Stirn, setzte dazu an, etwas zu sagen, besann sich dann eines Besseren und beließ es bei einem angedeuteten Achselzucken. Trotzdem war Stefan sicher, daß die Sache damit für ihn nicht erledigt war. Er verfluchte sich abermals in Gedanken. Er sollte in Zukunft besser darauf achten,
was er sagte,
und vor allem, wem.
»Das alles ist auf jeden Fall sehr mysteriös«, sagte Dom nach einer Weile. »Vielleicht wäre es besser, wenn Sie und Ihre Frau sich für einige Zeit von dem Kind fernhalten. Wenigstens bis wir diesen Verrückten geschnappt haben.«
Daß sie ihn schnappen würden, schien für ihn keine Frage zu sein. Stefan war in diesem Punkt nicht so zuversichtlich wie Dorn. Er hatte die Begegnung mit dem Mann in der Lederjacke noch nicht vergessen. Und je länger er darüber nachdachte, desto sonderbarer erschien ihm sein Erlebnis. Er fragte sich, ob er Dom davon berichten sollte, auf welch unheimliche Weise der Fremde vor ihm in der Dunkelheit untergetaucht war, auch auf die Gefahr hin, daß der Kriminalbeamte ihn daraufhin für vollkommen übergeschnappt hielt. Doch bevor er sich entscheiden konnte, sah Dorn demonstrativ auf die Armbanduhr.
»Es wird allmählich wirklich Zeit für mich«, sagte er. »Ich sollte nach Hause gehen, bevor meine Frau meinen Kollegen noch mehr Arbeit verschafft und eine Vermißtenanzeige aufgibt. Wir sehen uns dann morgen früh um neun in meinem Büro.«
»Muß ich meinen Anwalt mitbringen?« fragte Stefan.
Dorn lächelte. »Noch nicht. Und wahrscheinlich brauchen Sie ihn überhaupt nicht. Herr Professor!« Dom verabschiedete sich mit einem Kopfnicken in Wahlbergs Richtung und ging.
Stefan blickte ihm nachdenklich hinterher, und er wartete auch, bis er das
Geräusch der zuschlagenden Tür draußen auf dem Korridor gehört hatte, bevor er sich wieder zu Wahlberg umdrehte.
Auch der Professor sah nicht besonders begeistert aus, aber Stefan vermochte nicht zu sagen, ob sich der Ausdruck von Mißbilligung auf seinen Zügen nun auf ihn oder auf Dom bezog. Vermutlich auf beide.
»Es tut mir leid, daß Sie so viele Schwierigkeiten haben«, setzte er an, aber Wahlberg winkte ab und verjagte den tadelnden Ausdruck von seinem Gesicht.
»Ich habe keine Schwierigkeiten«, sagte er. »Sie wissen doch: Wenn es Menschen gibt, die noch überheblicher und selbstbewußter sind als Polizisten, dann sind es Ärzte.«
Stefan sah ihn verblüfft an. Er war nicht sicher, ob diese Worte wirklich nur scherzhaft gemeint waren, aber er wußte, was Wahlberg von ihm erwartete und lachte leise, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Sie haben ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt, nicht wahr?« fragte er. Mit einer Geste auf das Kinderbett fügte er hinzu: »Über sie.«
»Ich habe ihn nicht
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