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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ihrem Alter zukam. Dann fuhr er, ohne sich zu ihm herumzudrehen, oder auch nur den Ton zu wechseln fort: »Als ich erfahren habe, daß Ihre Frau und Sie Journalisten sind, da war ich ein wenig in Sorge. Aber mittlerweile glaube ich, daß das überflüssig war.«
    »Weshalb?« fragte Stefan.
    »Sie werden die Geschichte nicht ausnutzen, nicht wahr?« Wahlberg drehte sich zu ihm um, und wie ein körperlicher, kleinerer Schatten ahmte auch Eva die Bewegung nach, so daß sich Stefan plötzlich durchdringend von zwei Augenpaaren gemustert sah. »Sie könnten eine Menge Publicity daraus schlagen«, antwortete Wahlberg, »und vermutlich eine schöne Stange Geld.«
    »Woraus?« Natürlich wußte Stefan, was der Arzt meinte, aber er spürte auch, daß es Wahlberg sehr schwer fiel, diese Worte auszusprechen, und er hatte genug Erfahrung, um zu wissen, welche Hilfe er ihm gewähren mußte.
    »Es wäre eine Sensation«, sagte Wahlberg. »Ein Wolfskind! Sie könnten in alle Zeitungen und ins Fernsehen kommen.«
    »Nachdem Sie mir gerade selbst erklärt haben, daß es so etwas gar nicht gibt?«
    Wahlberg schüttelte abgehackt den Kopf. »Wen interessiert, was es gibt und was nicht? Das ist nur
meine
Meinung. Zufällig auch die der allermeisten meiner Kollegen, aber muß ich Ihnen erklären, wie man eine Sensation bastelt? Dieses arme kleine Ding könnte Sie und Ihre Frau vermutlich zu Millionären machen.«
    »Und Sie auch«, sagte Stefan. »Aber ich glaube, in diesem Zusammenhang interessiert sich keiner von uns für Geld. War es das, wovor Sie Angst hatten?«
    Wahlberg antwortete gar nicht darauf, aber das war auch nicht nötig.
    Natürlich lag der Gedanke auf der Hand und auch Stefan hatte ihn schon mehrmals durchgespielt - immer mit dem gleichen Ergebnis: Sie brauchten sich weder anzustrengen, noch hätte es ihrer ganzen Beziehungen und Erfahrungen bedurft, um aus diesem Kind, das sie mitten aus einer Wolfsmeute herausgeholt hatten, ein Medienspektakel ersten Ranges zu machen. Schlimmer noch, es würde sie vermutlich sehr viel Mühe kosten, genau das zu
vermeiden.
Stefan war nicht einmal sicher, daß es ihnen gelingen würde. Trotz allem wußten nun bereits zwei Menschen mehr von ihrem Geheimnis, und es würde nicht dabei bleiben.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was dieser Dorn aus der Geschichte macht«, antwortete er, aber Rebecca und ich werden es bestimmt niemandem erzählen. »Ich weiß, was wir ihr damit antun würden.« Er deutete auf Eva.
    Obwohl sich Wahlberg große Mühe gab, weiterhin möglichst unbeteiligt auszusehen, konnte er seine Erleichterung doch nicht ganz verbergen. »Wenn es so ist, dann werde ich alles in meiner Kraft Stehende tun, um Ihnen zu helfen«, sagte er. Dann wechselte er abrupt das Thema und sah in einer fast hundertprozentigen Imitation von Doms Geste gerade auf die Armbanduhr, zuckte auch auf die gleiche, übertrieben theatralische Art zusammen, und selbst sein Tonfall glich dem des Polizeibeamten, als er sagte: »Jetzt wird es aber allmählich Zeit.«
    »Warum? Gibt Ihre Frau sonst auch eine Vermißtenanzeige auf?« wollte Stefan wissen.
    Wahlberg lachte. Es klang echt. »Nein. Auf mich wartet keine Familie, nur ein Schreibtisch voller Arbeit. Aber die erledigt sich nicht von selbst.« Er machte eine vage Geste auf den Flur hinaus. »Ich bin sicherlich noch eine Stunde hier, wenn nicht noch länger. Wenn Sie mich suchen, finden Sie mich in meinem Büro.«
    Er trat vom Bett zurück, drehte sich um und ging langsam zur Tür. Er schien darauf zu warten, daß Stefan ihn begleitete, aber Stefan hatte sich bereits wieder herumgedreht und halb über das Bett gebeugt, wie um noch einmal mit Eva zu reden. In Wirklichkeit sah er das Mädchen kaum, sondern lauschte angestrengt auf Wahlbergs Schritte, die sich langsam der Tür näherten, einen Moment ganz abbrachen und schließlich draußen auf dem Flur verschwanden. Dann richtete er sich auf, trat mit einer fast hastigen Bewegung vom Bett zurück und drehte sich zu der Krankenschwester um.
    Sie hatte ihre Zeitschrift wieder hochgehoben und aufgeschlagen auf die Knie gelegt, blickte aber nicht mehr auf die buntbedruckten Seiten, sondern sah Stefan offen ins Gesicht. Sie mußte wohl eine bessere Menschenkennerin sein als
    Wahlberg, denn sie schien ganz genau zu wissen, warum er wirklich hiergeblieben war.
    Sie war blaß. Ihre Arme und Schultern waren angespannt und ihre Hände lagen zu flach und reglos auf der Zeitung; so fest, daß sie das

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