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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Papier zerdrückten.
    »Müssen Sie die ganze Nacht hierbleiben?« begann Stefan, aber sie nickte, stand langsam auf und trat an einen flachen Schrank, der mit allen möglichen, hier notwendigen Utensilien beladen war. Es gab daran nichts für sie zu tun. Sie begann einfach, Dinge hin und her zu rücken, vielleicht, um ihm vorzutäuschen, daß sie beschäftigt war. Wahrscheinlich aber nur, um ihre Nervosität zu überspielen.
    »Sie sind oft hier, nicht wahr?« fragte Stefan. »Ich meine - ich sehe Sie fast jeden Tag, wenn ich herkomme.«
    »Nicht jeden Tag«, antwortete die Schwester. Sie hatte eine dunkle, sehr angenehme Stimme und sprach mit deutlichem Akzent, trotzdem aber gut verständlich. »Ich kümmere mich um das Kind. Der Professor meint, ich wäre die Beste dafür. Ich .bekomme die Stunden frei, wenn sie... nicht mehr hier ist.«
    »Aber Sie meinen das nicht, oder?« fragte Stefan. »Daß Sie am besten dafür geeignet sind.«
    Schwester Danuta hatte sich herumgedreht, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber ihre Bewegungen wurden für eine oder zwei Sekunden hektischer und ihre ganze Gestalt spannte sich noch mehr. Er begriff, daß er der Wahrheit sehr nahe gekommen war und kam zu dem Schluß, daß er nichts gewinnen würde, wenn er weiter um den heißen Brei herumredete. Die Schwester war nervös, und aus irgendeinem Grund glaubte er auch zu spüren, daß sie Angst hatte, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wovor. Vielleicht würde es nie wieder einen besseren Moment geben, Antworten zu bekommen, als jetzt.
    Er trat näher, blieb einen Schritt hinter ihr stehen und berührte sie mit der Hand an der Schulter. »Sie wissen etwas, nicht wahr?« fragte er.
    Schwester Danuta erstarrte unter seiner Berührung. Eine halbe Sekunde lang vermochte Stefan nicht zu sagen, wie sie reagieren würde, dann drehte sie sich um, wartete, bis er die Hand wieder heruntergenommen hatte, und sah ihm fest in die Augen. Sie war noch blasser, und sie konnte ein ganz leichtes Zittern jetzt nicht mehr unterdrücken, aber ihre Stimme klang fest, als sie antwortete:
    »Nein. Woher sollte ich etwas wissen? Ich habe das Mädchen noch nie gesehen, bevor es herkam.«
    »Sie wissen, was ich meine«, sagte Stefan.
    Die Schwester fuhr sich nervös mit der Hand über den Kittel. Sie hielt seinem Blick immer noch stand, aber ihre Selbstbeherrschung reichte nicht aus, um auch den Rest ihres Körpers unter Kontrolle zu halten. »Ich... habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte sie.
    Stefan spürte, wie ihre Worte einen widersinnigen Zorn in ihm wachriefen, aber er unterdrückte ihn, schüttelte ganz ruhig den Kopf und zwang sich sogar zu einem Lächeln. »Das ist nicht wahr«, sagte er. »Keine Angst, ich werde Sie nicht verraten. Ich werde niemandem von unserem Gespräch erzählen. Professor Wahlberg und diesem Polizisten als allerletzten, wenn es das ist, was Sie befürchten. Aber Sie wissen, was mit diesem Mädchen los ist, nicht wahr?«
    »Nichts ist los«, beharrte die Schwester. »Es ist nur ein Kind, mehr nicht. Nur ein Kind.«
    »Dem man irgend etwas Furchtbares angetan hat«, fügte Stefan hinzu. »Und sie wissen, was es ist.«
    Danutas Blick flackerte. Stefan konnte regelrecht sehen, wie sich ihre Kraft erschöpfte. Aber es waren nicht seine Worte, die ihr zusetzten, sondern vielmehr etwas, das sie in ihr geweckt zu haben schienen. Plötzlich glaubte er eine abergläubische, uralte Furcht in ihren Augen zu erkennen. Er wollte diese Frau nicht quälen, aber er war jetzt überzeugt, daß sie etwas wußte.
    »Sie... Sie hätten sie nicht herbringen dürfen«, sagte Danuta. »Es ist nicht gut.«
    Stefan seufzte. »Also doch«, murmelte er. »Die Geschichte ist wahr. Sie haben dieses Kind ausgesetzt, damit die Wölfe es holen. Ist es so?« Der Gedanke erschien ihm selbst jetzt nach all der Zeit und all den Gesprächen, die sie darüber geführt hatten, noch immer monströs. Jetzt, zurück in der Sicherheit und scheinbar so klaren, alles beherrschenden Logik der zivilisierten Welt, fast noch monströser als in jenem dunklen, von Gefahren und Ungeheuern bevölkerten Tal. »Sie opfern ihnen Kinder«, murmelte er. »Und jeder weiß davon. Was wäre geschehen, wenn sie herausgefunden hätten, daß das Mädchen noch lebt? Wären sie gekommen, um es umzubringen, oder hätten sie einfach abgewartet, bis es verhungert wäre?«
    Das Flackern in Danutas Augen wurde stärker, und er begriff, daß seine Worte tatsächlich etwas

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