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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vielleicht hatte sie gar nicht die Kraft, zu widersprechen. Vielleicht nahm sie Wahlbergs Drohung auch ernst.
    Schwester Marion begann, den Rollstuhl rückwärts aus dem Zimmer hinaus zu bugsieren, doch nach ein paar Sekunden hob Professor Wahlberg noch einmal die Hand und hielt sie zurück. »Warten Sie.« Er sah erst Stefan, dann Dorn an. »Wenn dieser Kerl wirklich noch hier herumschleicht, dann ist es vielleicht besser, wenn Sie nicht alleine gehen. Zwei Pfleger von der Bereitschaft sollen Sie begleiten.«
    Marion wirkte sichtbar erleichtert, obwohl sie wahrscheinlich gar nicht vorgehabt hatte, auf einem anderen Weg zurückzugehen, als dem, auf dem sie und Stefan gekommen waren. Trotzdem konnte Stefan sie verstehen. Auch ihm wäre nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, allein durch diese nackten, kahlen Betongänge zu gehen.
    Er begleitete sie und Rebecca bis zum Aufzug und wartete, bis die Kabine gekommen war. »Ich komme in zehn Minuten nach«, versprach er. »Ehrenwort.«
    Rebecca hob den Kopf und sah ihn zweifelnd an, und Stefan fügte mit einem übertriebenen Grinsen hinzu: »Und ich verspreche dir auch, ein braver Junge zu sein und diesen Polizisten nicht mehr anzupflaumen. Du hast natürlich recht: Der Mann tut nur seine Pflicht.«
    Rebecca nickte. Ihr Anfall schien vorüber zu sein, und sie saß nun wieder in halbwegs entspannter Haltung in ihrem Stuhl, hatte die linke Hand aber immer noch flach auf die Seite gepreßt. »Hast du Robert angerufen?« fragte sie.
    »Selbstverständlich«, antwortete Stefan, während sich die Lifttüren bereits wieder zu schließen begannen. Er hätte sie mit einer Handbewegung aufhalten können, aber das wollte er nicht. Offensichtlich war er an diesem Tag überempfindlich, denn Rebeccas Frage ärgerte ihn schon wieder. Verdammt, er war vielleicht kein Held, aber er war auch kein sabbernder Idiot, der seinen großen, reichen Schwager brauchte, um sich den Hintern abzuputzen!
    Rasch drehte er sich um, damit Rebecca sein Gesicht nicht sah, sollten sich seine Gedanken zu deutlich darauf spiegeln, ging zur Intensivstation zurück und blieb vor der geschlossenen Tür drei, vier Sekunden lang stehen. Seine eigenen Reaktionen überraschten ihn immer noch, erschreckten ihn jetzt aber auch ein wenig. Er räumte sich zwar selbst ein gewisses Pardon ein, denn er hatte an diesem Tag wirklich eine Menge Dinge erlebt, die nicht unbedingt normal waren, aber Rebecca hatte im Kern natürlich nicht unrecht: Dom tat nichts als seine Pflicht. Und wenn er sie einigermaßen gut tat - und daran zweifelte Stefan eigentlich nicht -, dann hatte er nichts zu befürchten, sondern sollte den Kriminalbeamten eher als seinen Verbündeten betrachten.
    Er atmete noch einmal tief durch, drückte die Klingel und nutzte die Zeit, bis das Summen des elektrischen Türöffners erklang, um seine Gedanken zu ordnen und sich fast gewaltsam dazu zu zwingen, die Stimme der Logik zu hören, die ihm genau dasselbe erklärte, was er gerade schon gedacht hatte. Als sich die Tür
    öffnete, war er wenigstens äußerlich wieder ganz ruhig, und als er wenige Sekunden später wieder zu Wahlberg und Dom ins Zimmer trat, da brachte er es sogar fertig, so etwas wie ein flüchtiges, entschuldigendes Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen.
    »Es tut mir leid«, sagte er, an niemand direkt gewandt. »Ich wußte nicht, daß es so schlimm ist.«
    »Offensichtlich weiß Ihre Frau das auch nicht«, antwortete Wahlberg, »oder will es nicht wahrhaben.« Er schüttelte den Kopf. »Sie sollten wirklich einmal ein ernstes Wort mit ihr reden.«
    »Das werde ich«, versprach Stefan. Wahrscheinlich nur, weil ihm das Thema unangenehm war, wandte er den Kopf und sah in das verchromte Gitterbett unter dem Fenster. Die Schwester hatte Eva wieder hineingelegt und zugedeckt, aber das Mädchen schien nicht müde zu sein. Es hatte sich wieder aufgesetzt, die Beine an den Körper gezogen, mit beiden Armen umschlungen und das Kinn auf die Knie gestützt; eine Haltung, die es seltsam erwachsen und nachdenklich aussehen ließ. Vielleicht lag es aber auch an seinem Blick. Seine Augen waren weit geöffnet und sehr wach, und sie musterten Stefan, Wahlberg und den Polizeibeamten auf eine fast unheimlich wissende, und zugleich irgendwie lauernde Art. Im Blick dieser ganz und gar nicht kindlichen Augen mischten sich Furcht, aber Aufmerksamkeit und noch etwas anderes, etwas, das Stefan nicht in Worte fassen konnte.
    »Das ist ein wirklich entzückendes Kind«,

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