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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aber nur eine halbe Stunde geblieben und danach auf direktem Wege nach Hause gefahren. Das Gehörte hatte ihn so aufgewühlt, daß er nicht einmal mehr an den blonden Burschen gedacht hatte. Erst, als er wieder in seiner Wohnung war und die Tür hinter sich schloß, wurde ihm bewußt, daß er einem potentiellen Angreifer unterwegs mindestens zwanzig Gelegenheiten geboten hatte, ihm aufzulauern. Stefan erschrak bei diesem Gedanken nachträglich, aber nicht sehr, denn er hatte – wenn auch unabsichtlich - so doch zumindest ein deutliches Indiz dafür, daß der Kerl einfach wahllos zuschlug und es nicht wirklich auf ihn abgesehen hatte.
    Er ging früh zu Bett, fand aber nur schwer in den Schlaf und wachte ein halbes Dutzend Male wieder auf, ehe er am Morgen zerschlagen, müder als am Abend zuvor und mit einem schlechten Geschmack im Mund sowie mit hämmernden Kopfschmerzen wieder aufstand, um pünktlich zu seiner Verabredung mit Dom zu kommen.
    Stefan sah dem Treffen mit gemischten Gefühlen entgegen. Am vergangenen Abend war ihm der Oberinspektor nicht mehr halb so feindselig und mißtrauisch erschienen wie noch am Nachmittag, aber er wußte, daß das nichts bedeutete. Selbst wenn Dorn ihm glaubte - was noch gar nicht so sicher war -, machte das die Sache kaum besser. Ob nun Verdächtiger oder potentielles Opfer oder vielleicht auch beides - Stefan war sicher, daß die nächsten Tage eine Menge Ärger und Aufregung mit sich bringen mußten.
    Er trank drei Tassen starken, schwarzen Kaffee, der zwar seine Müdigkeit nicht verscheuchte, ihn aber so aufputschte, daß er wenigstens die nächsten zwei oder drei Stunden durchhalten würde, löschte die Anrufe auf dem Anrufbeantworter, ohne sie abgehört zu haben, und schaltete das Gerät dann kurzerhand aus. Danach fühlte er sich sonderbar erleichtert. Auch wenn es natürlich nichts änderte, so konnten ihn auf diese Weise wenigstens keine schlechten Nachrichten mehr erwarten, wenn er wieder zurückkam.
    Als er die Wohnung verließ und die Treppe hinunterging, kam ihm eine junge Frau entgegen. Irgend etwas an ihr war seltsam, so daß Stefan zwar nicht stehenblieb, sie aber aufmerksam betrachtete, während er an ihr vorüberging. Er schätzte ihr Alter auf allerhöchstens fünfundzwanzig, und sie hätte eine wahre Schönheit sein können, hätte sie nur ein wenig mehr auf ihr Äußeres geachtet. Sie trug einen schwarzen Rock, eine einfache weiße Bluse und darüber eine kurze Lederjacke, wie sie schon vor fünf Jahren aus der Mode gekommen waren; aber nichts an ihr wirkte so, als trüge sie es seit weniger als vier Wochen. Ihr Haar war schulterlang und so tiefschwarz, wie Stefan es noch nie zuvor gesehen hatte, aber von zwei asymmetrischen grauen Strähnen durchzogen, und es sah aus, als wäre es zeit ihres Lebens noch nicht mit einem Kamm oder einer Bürste in Berührung gekommen.
    Sie bewegte sich sehr schnell und rannte die Treppen fast hinauf; wenn sie die ganzen vier Etagen vom Eingang her in diesem Tempo zurückgelegt hatte, dann hätte sie eigentlich vollkommen außer Atem sein müssen. Als sie an Stefan vorübereilte, streifte ihn der Blick großer, fast unnatürlich dunkler Augen; ein Blick, der zugleich freundlich wie aufmerksam taxierend war und Stefan noch mehr irritierte als ihr verwahrlostes Äußeres. Er blieb nun doch stehen, drehte sich halb herum und sah der jungen Frau nach, bis sie auf dem Treppenabsatz über ihm verschwunden war. Das schnelle »Klack-Klack« ihrer Schritte auf den Betonstufen änderte seinen Rhythmus nicht. Sie mußte eine außerordentlich gute Kondition haben, um die Treppen so hinaufzustürmen, oder sehr in Eile sein.
    Stefan verscheuchte den Gedanken und ging weiter. In dem Haus lebten fast vierzig Parteien, und obwohl sie seit gut fünf Jahren hier wohnten, kannten sie kaum einen der anderen Mitbewohner. Nach Stefans Dafürhalten war das auch gut so. Er legte viel Wert auf Freunde und einen großen Bekanntenkreis, aber mindestens genausoviel auf eine gewisse Distanz dazu. Weder Rebecca noch er hatten sich sonderliche Mühe gegeben, ein Verhältnis zu ihren Nachbarn aufzubauen, das darin bestand, sich sonntags zum Kaffeetrinken zu treffen oder jeden dritten Abend in der Wohnung des anderen zu verbringen. Wenn irgendeiner der anderen Hausbewohner diese junge Punkerin zu seinen Freunden zählte, so ging ihn das nichts an. Außerdem hatte er im Moment wirklich andere Probleme. Als er aus dem Haus trat, wäre er um ein Haar mit einem

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