Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Samstagmorgen fuhr Göran sie zum Bahnhof. Sie wechselten nicht viele Worte während der Fahrt, und das bisschen, was Teresa sagte, schien Göran eher unangenehm zu berühren.Teresa verstand. Es war ihre Stimme, sie konnte den Klang selbst hören. Vielleicht sprachen Gespenster so oder seelenlose Wesen.
Der Zug brachte sie nach Stockholm, und die U-Bahn brachte sie nach Svedmyra, und der Aufzug brachte sie vor Theres’ Tür. Sie fühlte nichts. Als Theres die Tür öffnete, ging sie an ihr vorbei in die Wohnung und setzte sich an den Küchentisch. Theres setzte sich ihr gegenüber.
Teresa hatte keine Lust, etwas zu sagen, aber jetzt war sie nun einmal hierhergefahren. Sie sagte: »Ist Jerry in Amerika?«
»Ja. Mit Paris. Warum bist du traurig?«
»Das habe ich dir geschrieben.«
»Ich habe es nicht verstanden.«
»Du verstehst vieles nicht.«
»Ja. Viel. Willst du Essen haben?«
»Nein. Dein Lied ist in Tracks gelaufen.«
»Ich weiß. Wir werden zuhören. Ob es gewinnt.«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Dann werden noch mehr zuhören.«
»Warum sollen noch mehr zuhören?«
»Ich singe gut. Deine Worte sind gut. Warum bist du traurig?«
»Weil ich fett und hässlich und einsam bin und niemand mich mag. Um nur einiges zu nennen.«
»Ich mag dich.«
»Vielleicht. Aber du magst ja so viele.«
»Dich mag ich am meisten.«
»Wie meinst du das.«
»Es gibt viele Mädchen. Aber am meisten mag ich dich.«
»Kommen heute welche zu dir?«
»Nicht heute. Und nicht morgen.«
»Warum?«
»Ich will mit dir sein. Warum bist du traurig?«
Teresa stand vom Tisch auf und ging eine Runde durch die Wohnung. Es war, als würde sie einen Ort besuchen, an demman so lange nicht mehr war, dass er einem fremd geworden ist. Dort stand der Computer, mit dem sie gespielt hatten. Das war Theres’ Bett, auf dem sie gesessen hatten, das Sofa, auf dem sie sich die Horrorfilme angeschaut hatten. Das alles war wahr und nicht wahr. Es gehörte jemand anderem. Neben dem Computer lag ihr eigenes Notizbuch mit den Texten. Sie las ein paar davon und konnte nicht verstehen, warum sie sie geschrieben hatte.
Um zwölf Uhr half sie Theres, das Radio anzustellen, und dann saßen sie still nebeneinander auf dem Sofa, während ein Lied an das andere gereiht wurde. Teresa horchte hinter die Musik, hinter die Texte. Dort gab es nichts. Noch ein Song mit einem angeblich spannenden Hintergrund wurde als außerordentlich gut angepriesen, und das Einzige, was er zum Ausdruck brachte, war die eigene Inhaltsleere.
Ein paar Minuten vor zwei erklang ein Zischen und Brummen, der Jingle für die Rakete der Woche und gleichzeitig den höchstplatzierten Neuzugang: »Flieg« von Tesla. Der Song hatte es aus dem Nichts auf den zweiten Platz geschafft, geschlagen nur von The Ark mit »The worrying kind«.
Als Teresa das Radio ausgeschaltet hatte, sagte Theres: »Wir haben nicht gewonnen.«
»Vielleicht nächste Woche.«
»Was?«
»Nicht wichtig.«
»Warum bist du traurig?«
»Kannst du bitte mit dieser Frage aufhören?«
»Nein. Ich will wissen.«
Teresa holte ihr Handy heraus, suchte den Film mit der Garage heraus, drückte auf Play und gab es Theres, die das kleine Display ganz nah an ihre Augen hielt und den Handlungsverlauf genau beobachtete. Als es vorbei war, gab sie ihr das Handy zurück und sagte: »Es ist nicht gut, wenn man sich übergibt.«
»Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
Theres überlegte ein paar Sekunden und fragte dann: »Warum hast du so gemacht? Mit dem Jungen?«
»Ich war betrunken.«
»Du hast Alkohol getrunken?«
»Ja.«
»Alkohol ist nicht gut. Warum bist du traurig?«
Ganz unbemerkt hatte sich etwas aufgestaut, und Teresa zuckte zusammen, als ein deutlich hörbares »klick« durch ihren Körper schallte. Ein Stromschalter wurde umgelegt, eine Luke geöffnet. Sie sprang auf die Füße und schrie.
»Warum kannst du gar nichts begreifen? Kapierst du nicht, das ist das Übelste, Hässlichste, Ekligste was man machen kann und das ist auf diesem Film und ich mache das und jeder verdammte Mensch auf der ganzen verdammten Welt kann sich diesen Film angucken und sehen wie hässlich und abgrundtief eklig ich bin wenn ich seinen Schwanz vollkotze und ich hab mich vorher schon beschissen gefühlt und hab geglaubt dass ich total leer bin und dann hab ich getrunken damit ich nicht mehr leer bin und dann ist das hier passiert und da hat sich dann gezeigt dass man, Scheiße, man kann sogar noch leerer werden. Man
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