Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
nichts anderes kennen wird.«
»Aber warum, Lennart? Warum?«
Mit übertriebener Sorgfalt hob Lennart die Tasse an die Lippen, trank einen Schluck des lauwarmen Kaffees und stellte sie zurück auf die Untertasse, lautlos.
»Ich will diese Fragen nie wieder hören. Ich werde jetzt antworten. Und dann nie wieder. Ist das klar?«
Laila nickte. Sogar Lennarts Stimme hatte sich verändert, als ob eine andere Version von ihm aus seinem Mund sprach. Eine Person, die aus schwererem Material hergestellt worden war, sein harter Kern. Diese Stimme hatte etwas Bezwingendesund Laila starrte regungslos auf Lennarts Lippen, während er sprach:
»Weil sie kein gewöhnliches Kind ist. Sie wird nie ein gewöhnliches Kind sein. Oder ein gewöhnlicher Mensch. Sie ist weiß. Vollkommen weiß. Die Welt kann sie nur zerstören. Ich bin mir sicher. Ich habe in sie hineingeschaut. Es sieht vielleicht schlimm aus, wenn man ein Kind einsperrt. Aber für sie ist es besser. Da bin ich sicher. Sie ist die reine Musik. Die Welt ist ein Missklang. Sie würde untergehen. Sofort.«
»Du tust es also für sie? Willst du das damit sagen?«
Lennart kehrte an den Kaffeetisch zurück. Als ob alle Ebenen durchgespielt werden sollten, war sein Blick plötzlich unsicher und zerbrechlich. Ein einsames Kind im Wald. Laila konnte sich nicht erinnern, wann sie diesen Blick das letzte Mal gesehen hatte, und es stach ihr ins Herz.
Lennart sagte: »Und für mich. Falls sie verschwinden sollte … würde ich mir das Leben nehmen. Sie ist die letzte Chance. Mehr wird es nicht geben.«
Sie schwiegen. Die Nadel wühlte in Lailas Herz. Ein Spatz landete auf dem Tisch und pickte ein paar Kuchenkrümel auf. Im Nachhinein würde Laila begreifen, dass sie an einer Weggabelung gestanden hatten, dass eine Entscheidung gefällt worden war. Schweigend, wie alle wichtigen Entscheidungen.
14
Mama und Papa hatten den Auftritt mit keinem Wort erwähnt, aber Jerry hatte die Plakate gesehen. Er hatte eigentlich vorgehabt, auf die Oldtimer-Messe zu gehen und ein paar alte Bekannte zu treffen, aber als er sah, dass Lennart und Laila auftreten würden, überlegte er es sich anders. Da gab es eine andere Sache, die er lieber machen würde.
Der Auftritt war für vierzehn Uhr angesetzt. Um halb zwei schwang sich Jerry auf sein Motorrad und fuhr zum Haushinaus. Er kalkulierte, dass seine Eltern mindestens eine halbe Stunde für den Soundcheck benötigten und mindestens genauso lange, um ihre Sachen wieder einzusammeln und nach Hause zu fahren, sodass er ein paar Stunden allein im Haus verbringen könnte. Kühl berechnete er, dass sie das Kind nicht mitgenommen hatten.
Die Haustür war kein Problem, er hätte sie im Schlaf mit einer Kreditkarte öffnen können, aber sicherheitshalber hatte er auch einen Schraubenzieher mitgenommen. Er brauchte zehn Sekunden, um den altmodischen Riegel zurückzuzwingen und in den Flur zu gelangen. Ohne sich die Stiefel auszuziehen, ging er die Kellertreppe hinunter und rief: »Tuttut!«
Er zuckte zusammen, als er sein altes Zimmer betrat. Das Kind stand aufrecht mit den Händen auf der Querstange in seinem Gitterbettchen und schaute ihn direkt an. Der Blick dieses Kindes hatte etwas Abstoßendes an sich, als ob es einfach durch alles hindurchschauen würde. Und trotzdem war es nur ein Kind in einem roten Strampelanzug mit ausgebeulter Windel. Kaum ein Anlass zu Wahnvorstellungen.
Jerry hatte zu hundert Prozent durchschaut, was dieses Mädchen für seinen Vater bedeutete. Vierzig Mal so viel, wie er selbst ihm jemals bedeutet hatte. Das war ziemlich irritierend. Er konnte es nicht begreifen. Was war das Besondere an diesem kleinen Satansbraten, der einfach nur dastand und ihn anglotzte?
Als Jerry das Kind unter den Armen packte und aus dem Bett hob, hing es nur schlapp in seinen Händen, zappelte nicht einmal mit den Beinen. Jerry piekste ihm vorsichtig in den Bauch und sagte: »Tuttut.« Kein Lächeln, keine Falte zwischen den Augenbrauen. Jerry piekste kräftiger, drückte richtig zu. Nichts. Als ob es ihn gar nicht gab, als ob nichts, was er sagte oder tat, irgendeinen Eindruck hinterlassen könnte.
Eisprinzessin, was? Du kleiner Satansbraten!
Er legte die Kleine auf das Gästebett und kniff sie in den Arm, drückte ordentlich zu. Er klemmte den weichen Babyspeck so fest zusammen, dass er durch den Stoff und die Haut hindurch fühlte, wie seine Fingerspitzen aneinanderstießen. Als nichts passierte, machte er mit den Oberschenkeln weiter,
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