Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
noch mit ihr, aber er schlug sie auch nicht. Was genau Jerry damit meinte, dass Lennart »die Kleine vergessen« könne, wenn er nicht gehorche, war unklar geblieben, aber die Drohung hatte gewirkt. Jerry bekam seinen Rechner, und Laila wurde in Frieden gelassen.
Aber alles war seitdem wie von einer feuchten, schimmeligen Decke eingehüllt. Die Luft im Haus roch modrig und muffig. Laila glaubte, dass jeder, der über die Schwelle ihres Hauses trat, sofort riechen würde, dass hier etwas nicht stimmte: Etwas ist schlecht hier. Es ist krank.
Aber es kam niemand außer Jerry, der hin und wieder vorbeischaute, um die »Lage zu checken«. Manchmal verlangte er nach dem Kind, nahm es in die Arme, ließ es auf seinen Knien hüpfen und sagte »tuttut«. Bei diesen Gelegenheiten stand Lennart mit geballten Fäusten da und litt, wartete darauf, dass Jerry endlich fertig war, damit er das Kind wieder in den Keller bringen konnte.
Vielleicht erinnerte Laila das eingesperrte Kind an ihre eigene Situation, sodass sie manchmal einfach in den Garten gehen und durchatmen musste. Also umarmte sie die Gelegenheit, nach Stockholm zu fahren und wieder Sängerin spielen zu dürfen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Der Song hieß »Tragkraft: 0« und man erklärte Laila, dass der Text, den sie singen sollte, als Parodie auf KLFs Nonsens gemeint war. Sie hatte keine Ahnung, wovon er handelte. »Wir gehen auf dem Wasser unter der Erde, wir zünden die vier Worte an. Blei. Schnall. Tragkraft null«, und so weiter.
Ihre Stimme trug, der Produzent war zufrieden, und Laila nahm den Bus zurück nach Norrtälje, ohne dass ihr richtig klar war, was sie eigentlich getan hatte. Aber es war lustig gewesen. Eine neue Umgebung, in der alle nett zu ihr waren. Allein das.
Im April bekam das Mädchen ihren ersten Zahn. Ansonsten schien sie in ihrer Entwicklung stillzustehen. Sie versuchte nicht zu krabbeln oder zu robben. Sie interessierte sich nicht für Versteckspielchen oder Kuckuckmachen. Sie ahmte keine Handlungen oder Bewegungen nach. Das Einzige, was sie wiedergab, waren Geräusche und Töne, Melodien.
Lennart nahm sie nachts gelegentlich mit nach draußen in den Garten. Hin und wieder durfte auch Laila mit ihr gehen. Bei diesen Gelegenheiten sprach oder flüsterte sie so viel wie möglich mit dem Mädchen. Sie bekam keinen einzigen Laut als Antwort.
Ende Mai kam »Tragkraft: 0« von DDT featuring Laila in den Handel, und es geschah nichts. Fürs Erste. Dann geschah doch etwas und danach noch mehr. Im Juli kam es in die Charts und kletterte bis auf Platz sieben. Leute riefen an und wollten Interviews mit Laila führen. Sie bekam genaue Anweisungen von der Plattenfirma, was sie über den Text sagen sollte. Sie sagte es.
Die steigende Aufmerksamkeit machte Lennart nervös, aber er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Nach ein paar Wochen war es vorbei. Ein Nebeneffekt war allerdings, dass ein Veranstalter anrief und Lennart und Laila für ein paar Auftritte buchen wollte. Lennart entschied, dass sie probehalber ein Konzert geben sollten, im August auf einer Oldtimer-Messe in Norrtälje.
»Und was sollen wir so lange mit dem Mädchen machen?«, fragte Laila.
»Es ist doch in Norrtälje. Sie muss eben ein paar Stunden allein bleiben. Das ist kein Problem.«
Es war ein warmer Nachmittag im Juli. Sie saßen am Gartentisch und tranken Kaffee. Vielleicht lag es am unerwarteten Erfolg oder an der Tatsache, dass Laila ein bisschen andere Luft geschnuppert hatte. Sie wurde mutig. Eine ganz einfache Frage hatte seit Monaten schon in ihrem Kopf herumgespukt. Jetzt stellte sie sie.
»Lennart. Wie hast du dir das mit dem Mädchen eigentlich vorgestellt?«
»Wie meinst du das?«
»Du musst dir doch etwas überlegt haben. Wie es werden soll. Sie wird größer. Sie wird laufen lernen. Was sollen wir mit ihr machen?«
Es war, als ob ein Schleier vor seine Augen fiel. Plötzlich schien er ganz weit weg zu sein, obwohl er immer noch am Tisch saß und an seiner Kaffeetasse herumnestelte.
»Sie soll nicht dazugehören«, sagte er. »Sie darf nicht zerstört werden.«
»Nein. Aber so … ganz praktisch? Wie soll das funktionieren?«
Lennart verschränkte die Arme vor der Brust und schaute Laila wie über einen langen Abgrund hinweg an.
»Ich werde es nicht noch einmal sagen. Also hör zu. Wir werden sie hierbehalten. Wir werden sie nicht hinauslassen. Wir werden sie an dieses Leben gewöhnen. Sie wird nicht unglücklich sein, weil sie
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