Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
entgegen, die den Mund aber nicht öffnete. Jerry stupste sie mit dem Lappen. »So hat man das früher gemacht, weißt du? Mund auf.«
Theres sperrte den Mund auf, und Jerry schob den Frotteezipfel hinein. Das Mädchen saugte sich daran fest und legte sich wieder ins Bett, während ihre Augen Jerry weiter unverwandt betrachteten.
»Na dann, prost«, sagte Jerry und leerte sein Glas.
Zehn Minuten und ein weiteres Glas später begann es unter Jerrys Fingern zu jucken. Er schaute sich unternehmungslustig im Zimmer um. Er kam auf die Idee, unter dem Bett nachzuschauen, und siehe da!
Er kniete sich hin und zog den Gitarrenkoffer heraus. Dicker Staub lag über dem Verschluss, und das Schloss hatte nach ein paar feuchten Wintern Rost angesetzt, aber hier war sie. Er öffnete den Koffer und hob die Gitarre heraus, wog sie in den Händen.
Sie ist so verdammt klein.
In seiner Erinnerung war die Gitarre ein fettes Teil auf seinem Schoß gewesen, und er hatte bei manchen Griffen Schwierigkeiten gehabt, die Saiten mit den Fingern zu erreichen. Jetztwar das Instrument ein Spielzeug in seinen Händen, und er konnte alle Saiten ohne Probleme greifen.
Er schlug einen e-Moll-Akkord an, es klang zum Weglaufen.Er zupfte die E-Saite an und begann an den Wirbeln zu drehen, um sie zu stimmen. Irgendetwas war seltsam an der Akustik in diesem Raum. Sobald er eine Saite zupfte, bekam er eine Art Doppelton. Er ließ den Ton ausklingen und lauschte am Resonanzkörper. Der Nachhall war ein reinerer Ton. Er zupfte die Saite erneut und beugte sich mit dem Kopf zur Gitarre hinunter. Er hatte kein so gutes Gehör wie Lennart, konnte die Töne nur in der Relation zueinander erkennen, aber dieser Nachhall klang offensichtlich reiner als der Anschlag?
So eine Art Wasserschaden.
Er streckte sich, um an die Wirbel zu kommen, und sah, dass Theres sich im Bett aufgestellt hatte. Er schlug erneut die E-Saite an. Dieses Mal hörte er, woher der reinere Ton stammte.
Nee, nee, nee.
Aus Spaß stimmte er die E-Saite nach dem Ton, den Theres von sich gab, und ging zur B-Saite über. Nachdem er auch sie nach ihrer Vorgabe gestimmt hatte, konnte er hören, dass der Intervall zwischen beiden Tönen genau richtig war. Er machte dasselbe mit der G-Saite und so weiter. So schnell hatte er seine Gitarre noch nie gestimmt. Mit einem Stimmgerät wäre es nicht besser gewesen.
Er nahm einen Schluck direkt aus der Whiskyflasche, ließ anschließend die Arme auf der Gitarre ruhen und betrachtete Theres, die nach wie vor mit roter Wange und ausdrucksloser Miene in ihrem Bett stand.
»Mann, du bist some piece of work. Was sagst du denn dazu?«
Er spielte ein C. Nicht den Ton, sondern den Akkord. C, E und G. Theres’ helle Stimme antwortete so, dass es schwer herauszuhören war, welcher Ton von der Gitarre kam und welcher von ihr. Jerry ließ den Akkord ausklingen. Theres’ Stimme hing noch ein paar Sekunden in der Luft, bis auch sie verstummte. Jerry trank noch einen Schluck aus der Flasche und nickte nachdenklich.
»Okay«, sagte er. »Let’s rock.«
Er stampfte den Takt, schlug noch einmal ein C an und begann zu singen.
Ground Control to Major Tom
Ground Control to Major Tom
Take your protein pills and put your helmet on
Ground Control to Major Tom
Neben ihm stimmte das Mädchen mit reinen, wortlosen Tönen ein. Als er den Akkord wechselte, brauchte sie eine Sekunde, bis sie den neuen Ton anschlug. Ein Glück. Es wäre ihm doch ziemlich ungeheuer gewesen, wenn sie den Song zu allem Überfluss auch noch gekannt hätte. Aber sie kannte ihn nicht. Also spielte er ihn für sie, mit ihr. Dann ging er über zu »Ashes to ashes«, damit sie die ganze Story mitbekam.
»… you’d better not mess with Major Tom.«
Als Jerry die letzten Zeilen ein paar Mal gemeinsam mit Theres gesungen hatte, erwachte er wie aus einer Verzauberung. Er schaute sich im Zimmer um und begriff, dass es einen Riesenärger geben würde, sobald Mama und Papa nach Hause kamen.
Er stellte die Whiskyflasche zurück und ließ den alkoholgetränkten Waschlappen verschwinden, er sammelte die blutigen Papierknäuel ein und schüttete den Inhalt der Nuckelflasche in den Spülstein in der Waschküche. Zuletzt legte er die Gitarre zurück in ihren Koffer. Das Zimmer sah aus, als wäre er nie da gewesen.
Theres stand in ihrem Bett und schaute ihn an. Er beugte sich zu ihr hinunter und schnüffelte an ihrem Mund, rochnichts. Beinahe schade. Hätte ihnen was zu denken gegeben, Lennart und
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