Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Gesicht. Für einen Augenblick weiteten sich die Pupillen, und Lennart bekam das Gefühl, in einen Abgrund zu starren. Dann zogen sie sich im Licht wieder zusammen, und die Augenlider fielen zu.
Lennart saß für lange Zeit mucksmäuschenstill da. Das Kind hatte ihn angeschaut. Es hatte ihn zu Gesicht bekommen.
4
Als Laila aus dem Schlafzimmer kam, hatte Lennart das Baby auf ein Frotteehandtuch auf den Küchentisch gelegt. Er drehte eine Windel in seinen Händen hin und her und versuchte herauszufinden, wie man sie befestigte, bis Laila sie ihm wegnahm, ihn zur Seite schob und sagte: »Ich mach das.«
Ihr Atem roch nach Kakao und Minze, aber Lennart sagte nichts. Er legte die Hände auf den Rücken, trat einen Schritt zurück und beobachtete, was Laila mit den Laschen und Klebestreifen anstellte. Ihre linke Wange war rot angelaufen, und über das Rote hinweg liefen Streifen getrockneter, salziger Tränen.
Sie war ein steiler Zahn gewesen, eine fesche Braut und eine Anwärterin auf den schillernden Thron, auf dem Lill-Babs saß und jodelte. Ein Kritiker hatte sie im Scherz als »Little Lill-Babs« bezeichnet. Dann hatten Lennart und sie sich zusammengetan, und ihre Karriere nahm eine etwas andere Richtung. Mittlerweile wog sie siebenundneunzig Kilo und hatte Probleme mit den Beinen. Der steile Zahn lebte in ihrem Gesicht weiter, aber man musste schon ein Passepartout zu Hilfe nehmen, um ihn ausmachen zu können.
Laila befestigte die Windel und wickelte das Kind in die Decke mit den blauen Teddybären. Sie holte ein Frotteehandtuch und bereitete ihm ein Bett in dem großen Picknickkorb, legte das nach wie vor schlafende Kind vorsichtig hinein. Lennart stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen dabei und verfolgte das Ganze. Er war zufrieden. Das lief gut hier.
Laila hob den Korb hoch und ließ ihn vorsichtig wie eine Wiege hin und her pendeln. Zum ersten Mal, seit sie aus dem Schlafzimmer gekommen war, schaute sie Lennart an.
»Und jetzt?«
»Was meinst du?«
»Was sollen wir jetzt tun? Wo geben wir es ab?«
Lennart nahm Laila den Korb weg, ging ins Wohnzimmer und stellte ihn in den Sessel. Er beugte sich über das Kind und streichelte mit dem Zeigefinger über seine Wange. Hinter sich hörte er Lailas Stimme: »Das meinst du nicht ernst.«
»Warum nicht?«
»Das ist nicht erlaubt. So viel ist dir doch klar.«
Lennart drehte sich um und streckte den Arm aus. Laila wich ein kleines Stück zurück, doch Lennart drehte die Handfläche nach oben, um sie einzuladen, seine Hand zu ergreifen. Sie näherte sich zögerlich, als ob sie befürchtete, dass der ausgestreckte Arm sich jederzeit in eine Schlange verwandeln könnte. Schließlich legte sie ihre Hand in seine. Lennart führte sie in die Küche hinaus, wo er sie am Küchentisch platzierte, eine Tasse Kaffee einschenkte und vor ihr auf den Tisch stellte.
Laila verfolgte seine Bewegungen mit wachsamen Blicken, während Lennart eine Tasse für sich selbst einschenkte und sich ihr gegenüber an den Tisch setzte.
»Ich bin nicht böse«, sagte er. »Ganz im Gegenteil.«
Laila nickte und führte die Tasse zum Mund. Ihre Zähne waren verfärbt vom Schokoladensabber. Lennart machte sie nicht darauf aufmerksam. Ihre Wangen bebten auf eine unangenehme Art, als sie das warme Getränk hinunterschluckte. Auch darüber verlor Lennart kein Wort. Was er sagte, war: »Liebling.«
Lailas Augen wurden schmal.
»Ja?«
»Ich habe noch nicht alles erzählt. Von dem, was im Wald passiert ist. Als ich das Mädchen gefunden habe.«
Laila legte ihre Hände auf der Tischplatte übereinander.
»Dann erzähl es, Liebling .«
Lennart ignorierte den ironischen Unterton und fuhr fort: »Sie hat gesungen. Nachdem ich sie aus der Grube ausgebuddelt hatte, hat sie gesungen.«
»Sie hat doch noch keinen Ton von sich gegeben.«
»Hör mir zu. Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, wo du doch ohnehin kein Gehör hast …«
Lennart hob die Hand, um dem Protest zuvorzukommen, von dem er wusste, dass er kommen würde. Denn wenn Laila noch auf irgendetwas stolz war, dann war es ihre Singstimme und ihre Fähigkeit, jeden Ton perfekt zu treffen. Aber darum ging es hier nicht.
»Du hast nicht so ein Gehör, wie ich es habe«, sagte Lennart. »Deine Stimme ist besser und du triffst die Töne genauer, blablabla … Bist du jetzt zufrieden? Aber darüber reden wir hier nicht. Wir reden über das Gehör.«
Laila hörte wieder zu. Trotz der Art und Weise, mit der er sein Lob
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