Wolfslegende
habe alles vorbereitet. Ich rufe meine Dienerin. In der heutigen Zeit eine Dienerin zu halten, ist ungewöhnlich, doch durch meine suggestiven Fähigkeiten habe ich alle diesbezüglich Bedenken bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe, unterdrückt.
Jenny, meine Dienerin, habe ich vor ein paar Wochen erst auf der Straße aufgelesen und ihr diesem Job angeboten. Natürlich habe ich bei ihrer Entscheidung ein bißchen nachgeholfen. Sie ist zwanzig Jahre alt und hat ein wunderschönes Gesicht. Eigentlich schade um dieses erlesene Geschöpf, doch ihr Blut ist süß und rein. Noch weiß sie nichts von meiner wahren Natur.
Die Tür öffnet sich. Meine Muskeln spannen sich an, mein Stuhl dreht sich in Richtung meiner Dienerin. Sie kommt auf mich zu und fragt nach meinen Wünschen. Ich möchte mein Abendmahl zu mir nehmen, doch ich verschweige ihr, daß sie dabei mein Hauptgericht sein wird. Doch zuerst die Vorspeise.
Ich schaue ihr kurz in die Augen, und schon stellt sie sich breitbeinig vor mich hin. Ihre Hände fahren die Hüften auf und ab; dabei vollführt sie mit ihrem Becken laszive, kreisende Bewegungen. Oh, wie ich diese Vorspiele liebe! Mein schwarzes Blut gerät in Wallung, ihr Tanz erregt mich. Doch dann, wie aus heiterem Himmel, ändert sich meine Stimmung abrupt.
Der Hunger meldet sich mit Macht. Nein, ich will genießen! Doch da verwandele ich mich schon. Meine Eckzähne wachsen; die Vernunft und die Selbstbeherrschung müssen dem Überlebenswillen und dem Instinkt weichen.
Ich schaue Jenny in die Augen und kann so ihren Schrei unterdrücken. In ihren Augen war Angst zu lesen, doch nun zeigt ihr Gesicht ein von mir erzwungenes Lächeln.
Ich erhebe mich aus meinem Stuhl. Sie steht wie angewurzelt da, mit dem Lächeln auf ihrem Gesicht. Ich strecke meine Hände aus. Nein, ich will sie zurückziehen - doch die dunkle Seite ist stärker.
Meine Hände werden zu Pranken, mit Fingernägeln so scharf wie Rasierklingen. Jennys Augen starren immer noch geradeaus, auch als ich meine Zähne durch das weiche zarte Fleisch ihrer Schulter stoße. Sie bäumt sich kurz auf, doch dann scheint alles in ihr zu erlöschen.
Ihr warmes Blut quillt aus der Wunde hervor. Mein Saugen ist erst wild, ohne Empfinden, als ob ich ein kleines Kind wäre, das seit Tagen nichts mehr zu Essen bekommen hat. Doch langsam kommt auch das Genießen. Warm läuft mir der rote Saft die Kehle hinunter. Ein Geschmack, Ambrosia gleich, breitet sich in meinem Mund aus.
Ich schluchze ein wenig vor Vergnügen. In diesen Momenten frage ich mich, warum ich mich nicht öfter dem Verlangen hingebe. Doch das Monster in mir ist zurückgewichen, Vernunft und Einsicht sind wiedergekehrt.
Ich löse meinen Mund von der Wunde und schaue auf das, was mein unstillbarer Hunger angerichtet hat. Ein wenig Reue überkommt mich, aber ich schüttele sie ab. Meine Zunge streicht noch einmal über die beiden Einstiche, um auch die letzten Blutreste von Jennys Schulter zu tilgen.
Ich habe einem schönen jungen Mädchen das Leben genommen, aber damit anderen das Leben bewahrt. Auch hatte sie in den letzten Wochen ein besseres Leben als manch anderes junges Ding.
Ich nehme sie auf meine Arme und verlasse den Raum. Aus der Hintertür heraustretend, begebe ich mich in den großen Garten. Meinen Gärtner habe ich darum gebeten, ein neues Beet mit Rosen anzulegen. Dies waren die Jennys Lieblingsblumen.
Eine Grube teilt das angehende Beet, dahinter steht Jack, mein Gärtner. Ich steige hinunter in Jennys Grab, gehe in die Knie und lege sie behutsam auf die nackte Erde. Zärtlich fährt ein letztes Mal meine Hand über ihre Wange, dann straffe ich mich und entsteige dem Grab.
Ein kurzer Blick zu Jack, und er beginnt die Grube zu schließen. Ich habe ihm suggeriert, daß es Dünger ist, den ich ins Beet einbringen wollte. Wie überaus makaber! denke ich bei mir.
Mein Blick streift den Garten. Viele Beete mit den unterschiedlichsten Blumen haben sich mit der Zeit angesammelt, aber alle werden sorgsam gepflegt. Denn jedes Beet war ein Menschenleben.
Eine Träne bahnt sich aus meinem Auge den Weg hinaus auf die Wange. Ich weine; dabei sollte unsereins doch keine Emotionen haben.
Mit geneigten Haupt suche ich mir ein stilles, unbeobachtetes Plätzchen. Dort wird meine Körper kleiner, die Ohren empfindlicher, Schwingen bilden sich. Ich werfe mich in die Luft, die ledernen Flughäute tragen mich höher.
Mein Flug soll mich die Stadt führen. Dort suche ich mir eine neue
Weitere Kostenlose Bücher