Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
krächzte die Frau vor sich hin.
Tiefe Verachtung und Wut gegen diese Frau wallten in Tikia auf.
»Du sagst, sein Herz hat schlappgemacht …«, sagte Tikia dumpf.
»Yep!«, antwortete die Frau knapp.
»Kein Wunder!«, sagte Tikia laut, und etwas in ihrer Stimme ließ die Frau aufhorchen.
Stille war in die Kneipe eingekehrt. Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf Tikia.
»Sein Herz wird die Schande über so eine Tochter nicht mehr ertragen haben«, sagte Tikia kalt, drehte sich ohne ein weiteres Wort zur Tür um und verschwand mit dem Wolf an ihrer Seite in die Dunkelheit der Nacht.
»War das etwa ein Wolf?«, fragte ein alter Mann, der etwas abseits des Geschehens gesessen hatte.
»Ja …«, antwortete Tukanns Tochter und legte die Zigarre in den Aschenbecher. »Das eben war Koons Enkelkind. Kerûs Tochter.«
»Kerû?«, raunte der alte Mann.
»Doch nicht etwa der Kerû? Der Bezwinger der Wölfe?«
»Genau der!«, zischte Sûyra.
KAPITEL 14
Fuchsallee 59
Schweigend und vor Kälte und Wut zitternd stapfte Tikia durch die nächtlichen Straßen. Koon blieb ihr dicht auf den Fersen und jaulte sie leise an. Als die Kneipe außer Sichtweite war, wirbelte Tikia zu Koon herum.
»Das ist ja wohl die Höhe! So eine furchtbare Person! Wie die über ihren Vater gesprochen hat, und wie heruntergekommen dieser Laden und diese … diese Leute waren! So ein ekelhafter Abschaum! «
»Ruhe!«, schrie ein junger Mann von seinem Fenster zu ihnen hinab.
Wütend blickte Tikia zu ihm auf, entschuldigte sich dann aber kleinlaut und versprach, die nächtliche Ruhe nicht weiter zu stören.
Als der junge Mann das Fenster wieder geschlossen und das Licht gelöscht hatte, sank Tikia verzweifelt auf die Knie und verbarg das Gesicht in ihren Händen. Koon kuschelte sich tröstend an sie. Leise winselnd leckte er über ihre Hand, die sich sogleich wie mechanisch auf sein Fell legte und den Wolf näher zu sich heranzog.
»Ach Koon … Was soll ich jetzt bloß tun? Dieser Tukann war meine letzte Hoffnung auf ein ruhiges, normales Leben.Ich bin in der freien Natur aufgewachsen, gut!«, schluchzte sie leise. »Aber jetzt, wo ich in der Stadt meiner Träume angekommen bin, will ich nicht wieder weg! Was soll ich bloß tun? Was soll ich bloß tun …?«
Leise jaulend kuschelte Koon sich fester an Tikia, dann schnappte er nach Tikias Beutel, der träge an ihrer Seite baumelte und zog wie wild an ihm.
»Was soll das, Koon?«, flüsterte Tikia und versuchte Koon abzuschütteln, doch dieser zog nur noch fester, und es dauerte nicht lange, bis der kleine Beutel riss und Tikias ganze Habseligkeiten über den Boden rollten.
»Verdammt! Sag mal, spinnst du?«, schalt sie Koon, stieß ihn wütend von sich und machte sich daran, ihre Habseligkeiten wieder einzusammeln.
Koon dagegen stöberte ungerührt in Tikias Sachen herum.
»Mach Platz!«, befahl Tikia erzürnt und wollte ihn erneut wegstoßen, Koon jedoch wich dieses Mal geschickt aus, schnappte dann nach dem kleinen Notizblock und hielt ihn Tikia hin. Entnervt blickte Tikia auf den Wolf, der sie freudig winselnd anstupste.
»Was?«, zischte sie. Dann entdeckte sie den kleinen Notizblock in Koons Maul und nahm ihn nachdenklich entgegen.
Sie öffnete ihn und blickte lange auf das erste Blatt Papier, auf dem in Schreibschrift Shilas Adresse stand. Langsam hob sie ihren Kopf und sah Koon fragend an. »Meinst du etwa, ich sollte zu ihr gehen?«
Koon jaulte kurz und ließ sich dann selbstzufrieden auf sein Hinterteil fallen. Wieder einmal hatte er seiner Anführerin erfolgreich geholfen.
»Aber es ist sehr spät! Sie schläft sicher schon, und außerdem … kann ich ihr doch nicht zur Last fallen, oder?«, grübelte sie angestrengt. »Andererseits hat sie ausdrücklich gesagt, dass ich sofort zu ihr kommen sollte, wenn mir etwas widerfahren würde …«
Zweifelnd schaute sie zu dem nächsten Straßenschild und erkannte erstaunt, dass sie sich bereits in der Fuchsallee befand.
»Ach ja, die Fuchsallee lag ganz in der Nähe von Tukanns Laden« , erinnerte sie sich lächelnd. »Na, wenn das kein Zeichen ist, dann weiß ich auch nicht mehr!« , dachte sie schmunzelnd. »Also gut …«, sagte sie zu Koon, »gehen wir zu Shila und sehen dann weiter!«
Mit neuem Mut stand sie auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und lief zum nächsten Haus, um zu sehen, bei welcher Nummer sie sich zurzeit befanden. »Fuchsallee 1 «, las sie an dem Hausschild des jungen Mannes, der sich über
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