Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
Name ist Tikia Mayan! Mein Großvater Koon schickt mich! Ist Herr Zenô anwesend?«, schrie Tikia mit vor innerer Anspannung geschlossenen Augen in den Raum.
Verblüfftes Schweigen antwortete ihr. Die Gäste schauten verwirrt auf das junge Mädchen, das angespannt auf dem Teppich des Ladens stand. Misstrauische Blicke musterten ihre seltsame Erscheinung.
»So ein zerlumptes Mädchen!«, murmelte eine alte Frau abschätzig ihrer Freundin zu.
»Wo die wohl herkommt?«, antwortete die andere.
»Wohl aus dem Mittelalter!«, lallte ein Herr lauthals aus einer kleinen Nische den beiden Frauen zu, die daraufhin in schallendes Gelächter ausbrachen.
Verwirrt sah Tikia auf. »Was haben die denn? Was stimmt denn nicht mit mir?« , fragte sie sich und schaute in die lachende Runde.
Vorsichtigen Schrittes ging sie näher zur Theke hin. Koon drückte sich leise knurrend an ihre Seite. Niemand schien den Wolf zu bemerken; alle starrten wie gebannt auf Tikia, die ihr Anliegen zögernd wiederholte.
»Hey, Kleine!«
Tikia drehte sich nach der rau klingenden Stimme um.
In einer dunklen Nische saß eine junge Frau, die etwa in Shilas Alter sein musste, an einem kleinen hölzernen Tisch und winkte Tikia zu sich.
Sie hatte hellblondes Haar, das in langen Strähnen über ihre schmalen Schultern fiel. Sie trug einen weiten, dreckigen Umhang, und vor ihr auf dem Tisch standen zwei große Gläser. Das eine war bereits leer getrunken, das andere, das mit einer übel riechenden Flüssigkeit gefüllt war, hielt sie in der rechten Hand und eine dicke Zigarre in der Linken.
Mit leichtem Ekel vor dieser heruntergekommenen Person trat Tikia langsam näher und nahm dann ihr gegenüber am Tisch Platz. Angewidert starrte Tikia von der dicken Zigarre zu den dreckigen Gläsern. Noch nie zuvor hatte Tikia eine solch abstoßende Person gesehen. Ihre Kleidung war verschlissen, ihr Haar ungekämmt und fettig, sie stank nach billigem Alkohol und schlechtem Tabak. »Was Großvater wohl sagen würde, wenn er mich in Gegenwart einer solchen Person sehen würde?«, dachte Tikia bekümmert.
Die junge Frau lächelte Tikia an. »Ich bin Sûyra!« Gelbe Zähne blitzten aus dem übertrieben geschminkten Mund, und ein fauliger Geruch strömte Tikia entgegen.
Angewidert rümpfte Tikia die Nase.
»Du kennst Großvater Koon?«, lallte die Frau.
»Auch noch betrunken!« Verächtlich starrte Tikia sie an. »Ja! Er war mein Großvater!«, antwortete sie dennoch.
»Hat das Zeitliche gesegnet, was?«, fragte Sûyra unbekümmert. »Ich habe ihn gekannt, weißt du? Damals war ich so jung wie du!«, schloss sie mit bitterem Unterton in der Stimme und warf Tikia einen feindlichen Blick zu.
»Warst aber sicher nicht so versoffen wie du jetzt bist, sonst hätte er dich noch nicht einmal angesehen!« , überlegte Tikia bitter .
»Er war ein netter, stolzer Mann. Schon etwas in die Jahre gekommen, der Gute! Er war der beste Freund meines Vaters! Hab gehört, du suchst ihn?«, nuschelte sie verschwörerisch.
»Tukann ist dein Vater?«, rief Tikia entgeistert. Sie konnte nicht glauben, dass der beste Freund ihres Großvaters eine solch heruntergekommene Tochter hatte. »Wo ist er?«, fragte sie eindringlich.
Unwillkürlich hatten sich ihre Träume in Luft aufgelöst. Ein Vater, der seine eigene Tochter so verkommen lässt, konnte einfach kein guter Pate für sie sein.
»Wo ist er?«, fragte sie schärfer, doch Sûyra zog genüsslich an ihrer Zigarre, blies Tikia den Rauch ins Gesicht und lachte lauthals über ihre angewiderte Reaktion.
Wütend sprang Tikia hoch und baute sich vor Sûyra auf. Mit zornfunkelnden Augen musterte sie die Frau, die Tikia nun erschrocken anstarrte. »Wo ist er?«, fragte sie in einem schneidenden Ton.
»Er ist tot!«, hauchte die Frau hämisch grinsend. Dann lehnte sie sich wieder zurück und zog ungerührt an ihrer Zigarre.
Ungläubig starrte Tikia sie an. »Tot?« Entsetzen zeichnete sich in Tikias Gesicht ab. »Tot? Wo soll ich denn jetzt hin?« , fragte sie sich verzweifelt. »Er war doch meine letzte Hoffnung …«
Sûyra lachte schallend auf. Mit leerem Blick sah Tikia sie an.
»Jetzt schau doch nicht so betroffen drein, Kleines. Der Alte ist hinübergegangen, sein Herz hat eben schlappgemacht! Na und? Wen kümmert’s …?«
Fassungslos starrte Tikia die Frau an. »Wie kann sie so etwas nur sagen?«
»Hat mich einfach sitzen lassen mit seinem dämlichen Laden, der sich noch nicht mal zu ’ner anständigen Kneipe eignet!«,
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