Wolfslied Roman
ich nicht, wie ich weitermachen sollte.
Als ich noch am tiermedizinischen Institut gewesen war, hatte ich eine Kollegin namens Lilliana, die es durch ihre sanfte Überredungskunst jedes Mal geschafft hatte, einen Tierbesitzer zu einer anderen Entscheidung als der bereits gefällten zu bringen. Leider fehlte mir diese Kunstfertigkeit. Mir war bewusst, dass ich Marlene vermutlich gerade mit genau dem Blick bedachte, den meine Mutter meinen finsteren Bibliothekarinnen-Blick nannte, während ich überlegte, was Lilliana wohl in einer solchen Situation gesagt hätte.
»Sie haben vermutlich vor … Sie haben vor, die Welpen selbst zu beseitigen, nicht wahr? Dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es in diesem Land verboten ist, Tiere zu töten.« Tatsächlich mal wieder eine diplomatische Meisterleistung.
Marlene schürzte verärgert die Lippen. »Haben Sie mir
nicht zugehört? Sie wird einen Wurf Coydogs bekommen, die größer und stärker als Kojoten sind und bestimmt keine Angst vor Menschen haben. Dafür haben sie dann aber all die hinterlistigen Jagdinstinkte ihres Vaters. Einen Coydog kann man nicht weggeben. Das ist auch verboten.« Wütend klappte sie ihre Handtasche zu. Offensichtlich hatte ich keinen zufriedenstellenden Dienst geleistet und verdiente also auch keine Entlohnung. »Wie wollen Sie einen riesigen Coydog, der jederzeit ein unschuldiges Kind anfallen könnte, an den Mann bringen? Wenn Sie das schaffen - bitte. Aber ich will garantiert nichts damit zu tun haben.«
Das Knurren, das plötzlich aus meiner Brust drang, schockierte uns vermutlich alle drei. Ich sah, wie sich die Augen der Frau entsetzt weiteten und sie ihre Handtasche auf ihre Brust presste, während sie langsam zurückwich. Die sanfte Queenie war vor ihr Frauchen getreten und blickte mich nun mit zurückgezogenen Lefzen warnend an.
Vermutlich wäre es mir gelungen, mich nach diesem Ausrutscher zu beherrschen, wenn mich Marlene nicht so abfällig von Kopf bis Fuß gemustert und gefragt hätte: »Sind Sie irre oder was? Sind Sie etwa eine von diesen tollwütigen, durchgeknallten Tierschützern?«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, knurrte jedoch stattdessen erneut. Hitze stieg von meinen Zehen bis zu meiner Schädeldecke auf, und ich merkte, wie ich vor Zorn zitterte. Meine Haut kribbelte, die Haare stellten sich mir auf.
Oh mein Gott - nicht jetzt! Nicht hier! Draußen war es helllichter Tag, und ich trug Jeans, ein Oberteil und einen weißen Arztkittel. Zudem war es noch gar nicht der richtige Zeitpunkt in meinem Zyklus. Allerdings hatte ich
auch schon unter unregelmäßigen Perioden gelitten, als ich noch normal gewesen war. Vielleicht bedeutete das, dass meine Östrogenausschüttung den Lykanthropievirus auch außerhalb des gewöhnlichen Rhythmus stimulierte.
Wäre für eine Studie nicht uninteressant, dachte ich. Dann überkam mich eine weitere Hitzewallung. Ich rang um Luft und riss mir den Kittel vom Leib.
»Okay, Lady. Wie ich sehe, brauchen Sie anscheinend dringend Hilfe«, sagte Marlene und zog so meine Aufmerksamkeit wieder auf sie. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne Queenie hier rausbringen, ehe Sie …«
Mein Fauchen unterbrach sie in ihrer Beleidigung. Den Teufel wirst du tun und diesen armen Hund hier rausbringen, dachte ich und starrte Marlene finster an. Dabei bemerkte ich kaum, dass ich meine Besucherin in eine Ecke drängte, bis ich hinter mir eine weitere Stimme hörte.
»Verzeihen Sie, Dr. Barrow. Ich hab da eben etwas gehört und dachte mir, dass Sie vielleicht Hilfe brauchen.«
Hastig drehte ich mich herum und sah Pia vor mir, unsere Veterinärassistentin in der Ausbildung. Wie ich trug auch Pia den Lykanthropievirus in sich. Im Gegensatz zu mir hatte sie ihr Leben allerdings als Wolfshybride begonnen. Mein Chef Malachy Knox hatte mit dem Virus und ihr herumexperimentiert, und jetzt war sie menschlicher als ich: Im Gegensatz zu mir konnte sich Pia nämlich nicht mehr in ihre ursprüngliche Tiergestalt zurückverwandeln.
Augenblicklich nahm ich jedoch nur die Tatsache wahr, dass sie überrascht und verängstigt wirkte, was mich irgendwie verwunderte. »Dr. Barrow, geht es Ihnen gut?« Ihre weichen braunen Haare, die wuschelig kurz waren, hatten sich wie das Fell eines angespannten Hundes aufgestellt.
Ich knurrte indigniert, und Pia fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Dr. Barrow?«
Einen Moment lang machten mich ihre zaghafte Stimme und Haltung so
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